023 - Der Flug der Phaeton
seines Hauptfeldwebels mit drohendem Unterton in der Stimme, »machen Sie endlich Meldung! Ich muss wissen, wie es den anderen Stationen geht!«
Durch das offene Schott dröhnte: »Aus grauer Stätte Mauern …«
Müller kam unwillig aus seinem Tagtraum in die Realität zurück.
»Ja, mei … Die Erde schweigt immer noch. In der Mechanics-Venusstation scheint es zu einer Meuterei und in deren Folge zu schwerwiegenden Zerstörungen gekommen zu sein, denn die reagieren auf keinen Anruf mehr. Auch Venus-Alpha schweigt, nachdem Kommandant Sodor einen kurzen Hilferuf abgesandt hat. Seine letzten Worte waren: ›Hilfe, die Gefangenen brechen aus, arg …‹ Wie Sie schon wissen, scheinen ›Freie Seelen‹ ganz durchgedreht zu haben: Man hörte letzte Woche nur noch stereotyp: ›Und dein Wort sei ja, ja und nein, nein und frei und ohne Lug! Die Erlösung ist nahe!‹ Offensichtlich sind sie auf einem Dauertrip. Vor drei Tagen ist auch diese Sendung ausgefallen, nachdem sie ein ›Ja, Brüder wir folgen euch nach ins Licht!‹ auf Nebenkanälen abgestrahlt haben. Unsere Außensensoren zeigen, dass in den Akna Montes mehrere Atombomben explodiert sind. Die dürfte es ja auf der entmilitarisierten Venus gar nicht geben, so wie unsere, gell? Offensichtlich sind sie voller Erlösungssehnsucht dem Vorbild ihrer Brüder auf dem Mond gefolgt, ohne zu ahnen, dass dies nur ein Unfall bei …«
Müller blickte kurz auf einen schmutzigen Zettel, den er aus seiner offenstehenden Brusttasche gezogen hatte – »bei der Segnung einer ebenfalls offiziell gar nicht vorhandenen Atomrakete war, mit der man das invadierte Star Gate zerstören wollte. Ich habe einen Suchtrupp hingeschickt. An der Stelle der Station klafft nur noch ein Krater im Berghang. Also, Hilfe können wir von denen nicht bekommen. Wir sind auf uns allein gestellt.«
Müller schielte zum Schott, durch das eben »Die Wildgänse rauschen durch die Nacht …« gellte, dann fuhr er fort: »Wie es aussieht, für lange Zeit! Äh, könnten wir den Gesangsverein nicht draußen üben lassen? In geschlossenen Raumanzügen wären die Jungs erträglicher.« Wieder wischte sich Müller mit seinem Uniformärmel über die Stirn. »Ups, das hätte ich fast vergessen: Unsere Fernortung zeigt, dass sich ein Schiff nähert. Sie haben uns gerufen, auf einer unserer geheimen, wenn auch veralteten Frequenzen. Sie bitten um Hilfe. Was sollen wir machen?«
»Abwarten!« Oberst Kruger ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. »Abwarten und Tee trinken, oder haben Sie eine andere Idee?«
»Ja, scho, hab’ ich!« Müller schleppte seine Zentner zum Getränkeautomaten an der Wand und tippte auswendig einige Zahlenkombinationen ein. Kurz darauf kam er zurück mit einem kleinen Viertelliterglas und einem Maßkrug. Müller stellte das kleinere Gefäß vorsichtig auf Krugers Schreibtisch, packte geübt seinen Maßkrug und prostete Kruger grinsend zu: »Abwarten und Bier trinken. Wenn ma’ Pils als Bier bezeichnen kann …« Sein Blick glitt verächtlich über das Gläschen, das Kruger gerade mit gespreizten Fingern genommen hatte, dann hob er seinen Humpen hoch und leerte ihn mit einem Zug zur Hälfte, während Kruger nur kurz nippte.
»Ja, abwarten.« Kruger sah zu, wie sich in seinem Glas der Rest des alkoholfreien Bierpulvers in dem keimfreien Wasser auflöste, und schielte neidisch und missbilligend zu Müller hinüber, der gerade sein Einliterglas auf den zweiten Zug geleert hatte und sich mit dem linken schmuddeligen Uniformärmel den Schaumbart vom Munde wischte. Seine schon leicht glasigen Augen verrieten, dass das Gerücht stimmte: Müller hatte, wie auch immer, echtes alkoholhaltiges Bier eingeschmuggelt – und nicht nur das! Da er auch die Getränkeverteilung befehligte, musste er es geschafft haben, dass die zentral beschickten Getränkeautomaten bei der richtigen Zahlenkombination seinen Geheimvorrat ausspuckten. Hauptfeldwebel Müller musste den Code ständig nach einem raffinierten Algorithmus verändern, denn trotz aller Versuche hatte Kruger ihn immer noch nicht herausgefunden. Kaum hatte eine gut versteckte Kamera Müllers Eingabe aufgezeichnet, war der Code bereits geändert und Kruger bekam wieder nur sein alkoholfreies Pils. Eines Tages würde er Müller schon auf die Schliche kommen, schwor sich Kruger und unterdrückte eine scharfe Rüge, denn trotz ihrer Verschiedenheit schätzte er Müller sehr. Schließlich waren sie beide auf die Geheimstation Venus-Omega
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