023 - Der Flug der Phaeton
Kreisen überaus beliebten Magazin »Der moderne Raum-Infanterist« entsprungen. Die schwarzgraue Uniform saß perfekt. Jede Bügelfalte war dort, wo sie hingehörte. Nicht das kleinste Stäubchen störte das Funkeln der hochglanzpolierten Stiefel und diamagnetischen Reißverschlüsse. Nicht einmal das antiquierte Monokel störte den Gesamteindruck eines perfekt gekleideten Offiziers der Fliboeliteeinheiten.
Dieser Mann war Oberst Kruger.
Durch das riesige Panoramafenster bot sich ihm ein überwältigenden Ausblick. Das größte Problem hatte ihm auf der Venus immer der Horizont bereitet. Aufgrund der atmosphärischen Bedingungen bog sich das Licht kaum; ein Effekt, den man sich nicht vorstellen konnte – man musste ihn gesehen haben.
Trotz der leichten Irritation, die der Anblick stets bei ihm hervorrief, wandte er den Blick nicht ab. Er machte sich Sorgen, große Sorgen. Die ganze Verantwortung für Venus-Omega lag nun allein auf seinen Schultern, nachdem der Funkverkehr zusammengebrochen war. Die letzten Nachrichten, die sie vor knapp einer Woche erreicht hatten, waren beunruhigend gewesen – sehr beunruhigend. Es war die Rede von einer Flotte fremder, pyramidenförmiger Raumschiffe gewesen, die gnadenlos über die Erde hergefallen waren. Dann war die Kommunikation mit der Konzernzentrale plötzlich abgebrochen.
Hier auf der Venus war von den Aliens nichts zu bemerken. Allerdings war die Venus weit weg und Krugers Station eine der gut getarnten Geheimstationen, die fast alle großen Konzerne auf den Hochplateaus der Venus unterhielten.
Auf der Venus gab es im Wesentlichen nur zwei kontinentartige Strukturen. Die umfangreichere von beiden, Aphrodite Terra, war etwa so groß wie Südamerika und erstreckte sich in der Form eines Skorpions längs über etwa ein Drittel des Äquators. Venus-Omega befand sich nahe dem geografischen Nordpol der Venus, ein ganzes Stück nordwestlich von Aphrodite, zwischen dem 45. und dem 80. Breitengrad auf dem Hochplateau Ishtar Terra. Das Ishtar-Land war nur ungefähr so groß wie Australien, doch auf ihm befanden sich die Maxwell-Berge mit einer Gipfelhöhe von bis zu 10.800 Metern. Dennoch brauchte sich der Mount Everest nicht hinter dem Maxwell-Gebirge zu verstecken, denn wenn man die Größe des Himalaya an dem mittleren Krustenniveau der Erde maß, erreichte die höchste Erhebung der Erde sogar etwa 11.280 Meter.
Den Kern von Ishtar bildete im Westteil die auf der Venus einzigartige, relativ flache Hochebene Lakshmi Planum mit den beiden großen vulkanischen Einsenkungen Colette Patera und Sacajawea Patera. Die Hochebene lag etwa vier Kilometer über dem Durchschnittsniveau und wurde von den höchsten Kettengebirgen des Planeten begrenzt. Im Süden von den Danu Montes, im Westen von den höheren Akna Montes, im Nordwesten von den mit sechseinhalb Kilometern noch höheren Freyja Montes und schließlich im Osten von den Maxwell Montes.
Auf vielen Bergzügen sah der Oberst helle »Schneekappen«, die jedoch nicht aus Eis, sondern in Anbetracht der auf der Venus herrschenden Bedingungen aus einer dünnen Niederschlagsschicht der Schwermetallsalze Bleisulfid und Bismutsulfid bestanden. Dieses für Venusverhältnisse sehr unübersichtliche Gelände war ideal für Geheimstationen.
Wie Oberst Kruger aus nachrichtendienstlichen Quellen wusste, hatte »Freie Seelen« eine in den Akna Montes und Mechanics in den Freyja Montes. Seine gehörte zu Flibo und lag in den Maxwell Montes.
Logischerweise befanden sich wegen des hohen Luftdrucks auf der Venus, der auch nach jahrzehntelangem Terraforming noch einem Druck entsprach, der auf der Erde in einer Meerestiefe von fünfzig Metern erreicht wurde, alle Stationen in der Nähe der höchsten Erhebungen. Nahe dem Nordpol war es in dieser Höhe auch am kühlsten. Trotz Terraforming und der fast vollzogenen Umwandlung der dichten Wolkenschichten aus Kohlendioxid und Schwefelsäure betrug die Temperatur auf dem Lakshmi-Plateau immer noch im Durchschnitt hundert Grad Celsius. Der orangerote Farbton der Venusoberfläche war allerdings langsam einem hellen Gelbgrün gewichen. Das Grün kam von den Algenkolonien in der Atmosphäre und überall auf dem Boden, die das Terraforming vorantrieben.
Und es gab auch Wind. Oberst Kruger sah kleine Staubhexen über das Plateau fegen. Im Hintergrund waren dunkle Wolken zu sehen, und es schien zu regnen. Der Regen war eines ihrer größten Probleme bei Unternehmungen außerhalb der Station. Er war immer
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