023 - Der Flug der Phaeton
seinen Gedanken. »Wir treten in die Atmosphäre ein. Mögen die Raumgötter, denen ich alter Atheist allerdings noch nie begegnet bin, uns gnädig sein!«
Die PHAETON begann, sich unwillig aufzubäumen und zu rucken. Behutsam lenkte Chandler ihre »Nase« wieder nach unten. Das Rucken wurde immer stärker. Langsam neigte sich der Bug auf die helle, wolkenverhangenen Scheibe der Venus zu. Flammenzungen stiegen vom Bug der PHAETON auf, der sich rotglühend verfärbt hatte, und wehten um die Kuppel. Nun konnte nichts mehr ihre Landung auf der Venus aufhalten.
Chan versuchte sich abzulenken; die surrende Klimaautomatik seines Anzuges machte ihm deutlich, wie sehr er schwitzte. In Gedanken ging er nochmals Chandlers Landeplan durch und versuchte an den spärlich hereinkommenden Daten zu erkennen, ob die PHAETON ihren geplanten Kurs halten konnte.
Die Flammen, die vom Bug aufstiegen, wurden dichter und reißender und zeigten, dass sie immer tiefer in die Atmosphäre eindrangen. Bald konnte Chan wegen der Feuerstreifen durch die Kuppel kaum mehr etwas erkennen. Da die Venusatmosphäre immer noch viel dichter als die Erdatmosphäre war, begann sich die Außenhülle der PHAETON schon in fünfzehn Kilometern Höhe zu erhitzen. Das subatomar verdichtete Panzerplast der Außenhülle musste eine Temperatur von mehreren tausend Grad überstehen. Ein antikes Hitzeschild aus Keramikplatten, wie es die Spaceshuttles einst verwendet hatten, wäre schon längst verglüht. Chandler hatte aber glaubhaft versichert, dass »seine« PHAETON dies laut den Testberichten überstehen sollte.
Die dröhnenden Triebwerke arbeiteten auf Volllast, um die PHAETON weiter abzubremsen. Bange Minuten vergingen, dann meinte Chan zu spüren, dass das Schütteln und Bocken der PHAETON langsam nachließ. Tatsächlich, die Flammenzungen, die über die türkisfarbene Kuppel zuckten, wurden allmählich kürzer, die PHAETON wurde langsamer und ging in einen flachen Gleitkurs über.
Chan spürte, wie sich eine Hand auf die seine legte. Er sah nach links. Neben ihm saß Tanja, kaum kenntlich in dem schweren Raumanzug, und lächelte ihn durch ihr geschlossenes Visier aufmunternd an. »Eigentlich wunderschön, dieses Farbenspiel, findest du nicht auch?«
Frauen , dachte Chan, wie kann man in dieser Situation an so etwas denken? Dann erst sah er ihre angstgeweiteten Augen und verstand. Sie wollte ihn nur ablenken. Dankbar ergriff er ihre Hand ganz fest und ließ sie nicht mehr los.
Er sah zu Chandler. Der hielt wie bei dem Gefecht mit den Pyramiden absolut konzentriert und souverän die Steuersticks fest. Als ob er jede Bewegung des Schiffes vorausahnte, schaffte er es immer wieder, jeden Ausbruchsversuch »seiner« PHAETON zu unterbinden. Die alte Dame benahm sich wie ein ungebärdiges junges Füllen, aber Chandler hielt sie eisern und entschlossen unter Kontrolle. Immer wieder brüllte er trotz seiner unvermeidlichen Pfeife im Mundwinkel laute Befehle durch die Zentrale.
»Trimmen, Jean, jawoll, rechts. Du lernst es auch noch!«
Langsam riss die Wolkendecke auf, und Chan konnte durch die Kohlenstoffdioxidatmosphäre die hellorangerote Oberfläche der Venus erkennen. Hier unten herrschten kaum Winde. Chan erkannte, dass sie über ein kleines Hochland flogen. Obwohl es rasend schnell unter ihnen vorbeiglitt, glaubte er Bell Regio zu erkennen. Sie waren also planmäßig über dem Äquator eingetaucht. Er sah auf den Monitor vor sich. Ihre Geschwindigkeit sank beunruhigend langsam.
Nun rasten sie über eine Hochebene Richtung Norden. Chan hatte wegen seines Einsatzes auf der Venus die geografischen Details dieses Planeten auswendig lernen müssen. Das musste Leda Planitia sein. Er sah die einzigartigen Coronae und Arachnoiden. Das waren die charakteristischsten Gebilde auf der Venus. Sie fanden sich zu Hunderten in den Tiefebenen. Aufgrund ihres Äußeren, das am ehesten den Eindruck von eingesunkenen und deformierten Vulkanen erweckte, wurden sie früher mitunter als Einbruchkrater bezeichnet. Heute wusste man, dass es sich um Einschlagstrukturen handelte. Die Arachnoiden waren zumeist etwas kleiner als die Coronae, und ihr Muster erinnerte an eine langbeinige Spinne in ihrem Netz.
Am Horizont erschienen kleine Erhöhungen: Laima Tessera. Immer noch viel zu schnell überflogen sie das kleine Hochplateau im Norden. Da tauchte auch schon das im Ostteil von Ishtar gelegene Hochland mit dem Namen »Fortuna Tessera« auf, ein hügeliges, tesseraartiges Plateau
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