023 - Der Flug der Phaeton
wie dieser musste er ihm jedoch dankbar sein. Unter tiefen und regelmäßigen Atemzügen leerte er seinen aufgewühlten Geist und verdrängte die auf ihn einstürmenden Emotionen und Eindrücke. Chan konzentrierte sich auf die überlebensnotwendigen Tatsachen, wie er es immer wieder geübt hatte. Allerdings störte der Gestank seine tiefe Konzentration. Ob sein Ausbilder Turgetei wohl absichtlich »vergessen« hatte, ihm dagegen eine Konzentrationsübung beizubringen, oder gab es für so etwas Banales keine Methode? Schon wieder waren seine Gedanken abgeglitten. Er musste sich zusammenreißen. Zurück zu den wichtigen Dingen:
Zuerst ihr Fluchtfahrzeug! Sein Name war PHAETON. Die PHAETON sah aus wie eine Flunder, hatte eine Länge von etwa 120 Metern, eine maximale Breite von etwa 60 Metern. Die maximale Dicke betrug 18 Meter. Die perfekte Geometrie wurde nur durch zwei Ausleger gestört, die von den Seiten des silbergrauen Ovaloids nach hinten ragten. Deren Sinn wollte ihm auch nach angestrengtem Nachdenken nicht eingehen. Er nahm sich vor, irgendwann den Kapitän danach zu fragen.
Oben auf der PHAETON saß, unter einer durchsichtigen türkisfarbenen Panzerplastkuppel, die Kommandozentrale, die auch heute noch als Cockpit bezeichnet wurde. Obwohl die glatte Oberfläche des Raumers an vielen Stellen von dunkleren Linien und Flächen unterbrochen wurde, gab es keinen Hinweis auf Triebwerksöffnungen, denn starke magnetische, bodenstationäre Prallfelder dienten zum Start und zur Landung. Es musste aber auch kräftige Impulstriebwerke als Notantrieb geben, überlegte Chan, denn sonst hätte die PHAETON der atomaren Gluthölle niemals entkommen können. Schließlich waren die riesigen Prallfeldgeneratoren gleich nach dem Start durch die einschlagenden Atomraketen zerschmolzen, obwohl sie sich außerhalb der Kuppel befunden hatten.
Chan versuchte, sich weitere Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen. Die Stammbesatzung solcher Linienschiffe bestand normalerweise aus einem Kapitän, einem Kopiloten, einem Funker und Ortungsoffizier, einem Bordingenieur und etwa zehn Stewardessen.
Eine sonore, heisere und im Anbetracht der Situation verblüffend ruhige Stimme aus den Bordlautsprechern riss Chan aus seinen Gedanken:
»Ladies and Gentlemen, mein Name ist Arthur B. Chandler und ich bin ihr Kapitän! Wir, ähem, haben ein kleines Problem, die Prallfelder der Bodenstation sind, wie Sie sicher schon bemerkt haben, ausgefallen. Wir haben zwar noch ein Paar Impulstriebwerke, die wurden aber ein wenig durch die Explosionen, ähem, in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch besteht kein Grund zur Beunruhigung; wir werden unser Ziel sicher erreichen! Allerdings wird der Flug statt der üblichen acht Stunden nun mindestens zwei bis drei Tage dauern.«
Ein allgemeines Stöhnen erklang.
»Bitte richten Sie sich darauf ein. Schnallen Sie alle beweglichen Teile fest; ich kann leider nicht dafür garantieren, dass die künstliche Gravitation durchhält, und folgen Sie unbedingt den Anweisungen des Personals! Später werden wir Erfrischungen reichen. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Flug! Buchen Sie uns bald wieder, aber reservieren Sie diesmal vorher.«
Kurz darauf drängte sich fluchend und wild gestikulierend ein furchtbar wichtig aussehender, großer Mann aus dem schmalen Schott in der dicken Säule zwischen den Sitzreihen, die den einzigen Aufgang zur Leitkuppel ermöglichte. Sein dunkelgrüner Anzug mit dem topmodernen, unregelmäßig groben Muster, das nur sündhaft teures malaysisches Seegras erzeugte, zeigte, dass er ein Konzernmanager sein musste, wahrscheinlich von Mechanics, der sich offensichtlich gerade weit über die standesgemäße Nonchalance hinaus über etwas erregte.
Erneut ertönte die Stimme des Kapitäns, eine Nuance ungeduldiger und lauter als vorher.
»Ach ja, sollte noch jemand der Meinung sein, er bräuchte unbedingt seinen angestammten Platz in den Kabinen der ersten Klasse, in denen wir gerade die Kinder untergebracht haben, dann bekommt er sehr viel mehr Platz, als er jemals ausfüllen kann, auch wenn er Konzernmanager von Mechanics ist: Er kann eine ganze leere Frachthalle im Unterdeck haben. Ich stelle ihm dann auch die nötigen Sauerstoffflaschen und Wärmflaschen zur Verfügung, denn da unten ist leider keine Umweltautomatik!«
Die Stimme des Kapitäns wurde ein Spur schärfer: »Oder er kann aussteigen und zu Fuß zur Erde gehen. Verstanden?«
Selbst Chan duckte sich ein wenig in seinen
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