023 - Der Kopf des Vampirs
Unbelebt lag der Wald im Mondlicht. In der Ferne schrie ein Käuzchen. Es klang unheimlich. Manche Menschen sagten, das Käuzchen rufe einen Menschen in den Tod.
Dorian rief nach Don Chapman. »Don – he, Don, bist du hier?«
Keine Antwort. Dorian rief und pfiff noch ein paar Minuten. Ndoyo im dunklen Wald weiterzuverfolgen, hatte keinen Zweck, und Donald Chapman meldete sich nicht. Dorian mußte sich damit abfinden, das sich sein tapferer kleiner Freund als Geisel in der Gewalt Ndoyos befand.
Coco und Marvin Cohen hatten rasch aufgeräumt und den Vampirkopf verborgen, ehe Zugpersonal und Fahrgäste angelaufen kamen. Cohens Brieftasche und die gestohlenen Dämonenbanner lagen jetzt auch in der Kunststofftasche. Es gelang ihm, Schaffner und Zugführer mit den weniger unglaubwürdigen Details der Geschichte abzuspeisen. Coco half mit einer leichten Hypnose nach. Sie sagte aus, sie habe die Notbremse gezogen, um Dorian, der von einem Fremden bedroht worden war, zu Hilfe zu kommen. Der unbekannte Mann sei in den Wald entflohen.
Der Zug fuhr wieder weiter. Bei einem Sonderaufenthalt in Utrecht stieg die Bahnpolizei zu, die übers Zugtelefon verständigt worden war. Auf der Fahrt von Utrecht nach Amsterdam und während des Halts dort nahmen holländische Bahnpolizisten ein Protokoll auf. Es sollte an das Auswärtige Amt weitergeleitet werden, das sich dann mit dem Secret Service in Verbindung setzen mußte. Es lag hauptsächlich an Cocos Hypnosekünsten, daß der Fall keine weiteren Kreise zog.
Dorian, Coco und Marvin Cohen stiegen in Amsterdam aus. Der Zug war mit dreiundzwanzig Minuten Verspätung angekommen. Die Tasche mit dem Vampirkopf und den chirurgischen Bestecken hatten sie bei sich; die Bahnpolizei hatte sich nicht dafür interessiert. Daß eine Reisende dem Vampir Thören Rosqvana zum Opfer gefallen und gleich anschließend den Pfahltod gestorben und zu Staub zerfallen war, wußte niemand außer Rosqvana und Ndoyo. Von der unglücklichen Frau waren lediglich ein herrenloser Koffer und ein wenig Staub zurückgeblieben. Dorian konnte nur Vermutungen darüber anstellen, ob Thören Rosqvana im Zug ein Opfer gefunden hatte, ehe Ndoyo ihn gefangennahm.
Der Dämonenkiller und seine beiden Begleiter fuhren mit einem Taxi zum Hotel Bloemendaal , wo sie ein Doppelzimmer und ein Einzelzimmer nahmen. Zwei gähnende Pagen halfen ihnen beim Koffertragen.
Im Doppelzimmer hielten sie Kriegsrat. Dorian verschloß die Tür, nahm den Vampirkopf aus der blauen Kunststofftasche und befreite ihn von den Knoblauchzehen und dem Knoblauchnetz. Thören Rosqvanas Kopf hustete und prustete. Er schwebte zehn Zentimeter über dem Tisch frei in der Luft.
»Puh, war das furchtbar!« jammerte der Vampirkopf. »Ich bin fast krepiert an diesem Knoblauch.«
Marvin Cohen zog wutentbrannt ein silbernes Kreuz aus der Tasche.
»Du hast uns eine Menge Ärger eingebrockt, Dämon. Dafür werde ich dich jetzt mit dem Silberkreuz zeichnen.«
»Lassen Sie das, Cohen!« sagte Dorian scharf. »Racheakte bringen uns nicht weiter. Weshalb bist du nicht in der Schachtel geblieben, Rosqvana? Welcher Teufel hat dich geritten, im Zug auf Jagd nach einem Opfer zu gehen?«
»Der Blutdurst hat mich überwältigt«, antwortete der Vampirkopf. »Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Dieser furchtbare Hunger – ich konnte einfach nicht anders.«
»Hast du ein Opfer gefunden?«
»Nein. Dieses schwarze Ungeheuer nahm mich gefangen, noch ehe ich meine Zähne in eine Menschenkehle schlagen konnte.«
»Er lügt«, sagte Coco. »Ich spüre es. Er hat jemandem das Blut ausgesaugt, aber irgendwie war es anders als sonst.«
»Ich schwöre bei allen Höllen und Dämonen …«, begann der Vampirkopf.
Dorian hob ein silbernes Kreuz hoch. »Sag die Wahrheit, Rosqvana! Du hast mich damals von der Inquisition grausam foltern lassen. 1508 war es, aber ich erinnere mich an die Schmerzen, die ich als Juan Garcia de Tabera erlitt, als sei es erst gestern gewesen. So etwas vergißt man nicht. Ich habe nicht übel Lust, dir ein wenig in gleicher Münze zurückzuzahlen. Also rede, bevor ich die Geduld verliere, und versuche nicht zu lügen! Coco merkt es.«
Rosqvana erzählte nun, was sich wirklich zugetragen hatte; daß er telepathisch mit Johan Zaander in Verbindung gestanden hatte, verschwieg er jedoch.
»Es gibt viele Möglichkeiten, wie Johan Zaander von unserem Kommen erfahren haben kann«, sagte Dorian. »Das spielt jetzt keine große Rolle mehr. Wir müssen nun
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