023 - Reise ohne Wiederkehr
seiner Finger verstärkte, knirschte es hörbar.
Er drehte es behutsam in seinen Händen. Das Titelbild, dessen Farben noch erstaunlich gut erhalten waren, zeigte ein typisch britisches Schloß. Davor stand ein brünettes Mädchen mit einem Rosenstrauß in der Hand, das altmodisch gekleidet war und einen Schönling in einem Tweedanzug anschmachtete. Der Titel lautete Das falsche Spiel des schönen Grafen.
Weitere Bücher, die Matt vorsichtig aus dem Regal nahm, unterschieden sich von diesem ersten nur durch leicht variierte Cover.
Selbst die Titel waren nur Varianten des ersten. Der Graf und die Bauernmagd. Sie folgte dem falschen Prinzen. Und so weiter…
Schätze uralten Wissens? dachte Matt. Das sind Romane! Tausende von uralten Fürstenschnulzen!
Sein Blick schweifte über die anderen Bücher, die das Regal füllten. Man brauchte kein Mitglied eines literarischen Quartetts zu sein, um zu erkennen, dass der Besitzer - die Besitzerin? - der verlassenen Bibliothek bemüht gewesen war, sämtliche seit der Erfindung der Rotationspresse erschienenen Kitschromane zusammenzutragen.
Nahezu alle Bücher stammten aus der Feder von Damen, und die meisten schien eine gewisse Barbara Cartland verfasst zu haben.
Doch in einem Regal standen auch mehrere in blaues Leinen eingebundene Titel, deren Rücken Matt bekannt vorkamen. Als er das ersten Buch heraus zog, fiel es ihm ein: Es handelte sich um eine Gesamtausgabe des Schriftstellers Jack London. Matts Blick wanderte über die Titel: Martin Eden. Der Seewolf. Der Ruf der Wildnis. Ein Sohn der Sonne. Südseegeschichten. Abenteurer des Schienenstrangs. Es waren deutsche Ausgaben.
In Martin Eden entdeckte er ein Impressum mit der Jahreszahl 1928 und den Verlagsnamen: Büchergilde Gutenberg, Berlin.
Matt musterte das Buch von allen Seiten und dachte unweigerlich an die Welt, in der es entstanden war. Er seufzte, dann schlug er es behutsam auf und entdeckte auf dem ersten unbedruckten Vorsatzblatt eine Handschrift. Nanu?
»Leider vermag ich diese Sprache nicht zu lesen«, sagte Cosimus enttäuscht, der sich inzwischen ebenfalls eines der Bücher genommen und darin geblättert hatte. »Könnt Ihr es vielleicht?«
»Ihr könnt sie nicht lesen?«, fragte Matt verdutzt. »Ihr habt doch in dieser Sprache gesungen.«
»Oh«, sagte Cosimus. »Habe ich das?« Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Wir lagen vor Madagaskar«, zitierte Matt, »und hatten die Pest an Bord…«
»Ach, das…« Cosimus errötete und wirkte plötzlich sehr verlegen.
»Ich muss Euch ein Geständnis machen, mein lieber Matthew«, sagte er und schaute sich um, als wolle er sichergehen, dass niemand ihn belauschte. »Ich singe diese Sprache fließend, aber leider versteheich sie nicht. Ich habe dieses Lied auswendig gelernt. Die Zofe meiner Mutter hat es mir vorgesungen, als ich klein war, aber sie wusste leider auch nicht, was die Worte bedeuten, denn sie hat sie von einem Seemann gelernt, der auf dem Kontinent geboren wurde…«
Matt grinste.
»Es ist eine sehr alte Sprache«, sagte er.
»Sie wurde früher in Doyzland gesprochen.«
»Kannst du diese alte Sprache verstehen?« Matt zuckte zusammen. Colomb, Tuman und Kuki waren unbemerkt zu ihnen in die Bibliothek gekommen. Der Koch und der Erste Lytnant schauten sich mit großen Augen um, während der Kapitaan einen interessierten Blick auf das Buch in Matts Händen warf.
Matt nickte - und erntete einen erstaunten Blick von Kapitaan Colomb.
Die wenigsten Menschen dieser Zeit konnten lesen. Die meisten hatten von Büchern nicht einmal gehört. Wenn jemand nicht nur lesen konnte, sondern auch Sprachen verstand, die sonst niemand kannte, konnte er kein simpler Sklave sein.
Vielleicht wurde dies dem Kapitaan in jener Sekunde klar, da er Matthew Drax verblüfft musterte.
»Bücher«, sagte Colomb, »sind ein großer Schatz. Sie enthalten Wissen. Und Wissen ist Macht.«
»In der Tat«, ließ Cosimus sich vernehmen.
»Bücher enthalten Geheimnisse und wissen von Dingen, die wir längst vergessen haben.«
»Diese Bücher jedoch…«, begann Matt und deutete auf die Tausende von Taschenbücher.
»Wir nehmen sie mit, und zwar alle«, sagte Colomb entschlossen. Er trat einen Schritt zurück und musterte das Regal mit einem kritischen Blick.
Matt schlug das Buch zu, das er in den Händen hielt, und steckte es ins Regal zurück.
»Kapitaan«, wagte er einen erneuten Vorstoß.
»Die meisten der Bücher…«
»Wie sollen wir sie
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