0232 - Plutons Zauberbuch
Blick zu. »So, in Ihrem Zimmer«, wiederholte sie. »Ist das Ihre übliche Masche, kleine Mädchen zu verführen?«
Der Chinese zeigte wieder sein Lächeln, das bei ihm nicht einmal einstudiert wirkte. »Kleine Mädchen verführe ich nur, wenn sie unbedingt verführt werden möchten. Aber die Unterlagen sind zu wertvoll, als daß ich sie durch das halbe Hotel transportieren möchte. Sie können ja einen Anstandswauwau mitbringen, Ihren Gatten zum Beispiel.«
Tamara grinste innerlich. Der kleine Bluff Ihrer Verehelichung mit Taskanoff wirkte also.
»Woher wissen Sie überhaupt so viel über das Buch?« fragte sie. »Ich meine, der Auktionator ist nicht in Details gegangen, kein anderer sagte etwas, nur Sie. Woher?«
Die Frage war eine Falle. Natürlich wußte der KGB, daß der Chinese auf irgendeine Weise mit dem Buch zu tun hatte. Die Einzelheiten waren natürlich nicht bekannt.
Ansonsten hätte Tamara sich nicht an ihn heranmachen müssen.
Allerdings fragte sie sich, was mit Pjotr Wassilowitch los war. Warum war er nicht gekommen? Er hatte doch den »Direktauftrag.«
Der Lift trug die beiden nach oben.
Das Zimmer des Chinesen war eines der weniger komfortablen, aber er schien es nicht erst seit einem Tag zu bewohnen. Es trug typische Zeichen seiner Kultur. Er mußte es für seinen Geschmack wohnlich eingerichtet haben, und das mit Sicherheit für längere Zeit. Die Agentin sah sich um.
»Darf ich ein Versäumnis des Auktionators aufarbeiten und Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte der Chinese. »Die Luft unten im Saal war ein wenig trocken… nun, um auf Ihre Frage zurückzukommen: mir war der Besitzer des Buches zu Lebzeiten bekannt.«
»Wer war dieser Besucher?« fragte Tamara und ließ sich auf dem schmalen Sofa nieder.
Der Chinese blieb vor der Eisbox stehen, in der sich alkoholische und andere Getränke befanden. »Sie sind keine von unserem Blut«, sagte er.
»Natürlich nicht«, erwiderte Tamara etwas überrascht. »Ich bin eine Russin, aber das ist Ihnen doch bekannt. Wollen Sie mir nun doch nichts erzählen?«
Der Chinese wandte sich um. »Sie wissen nicht einmal Bescheid«, sagte er. »Vielleicht… ist das ganz gut so.« Er füllte zwei Gläser mit einer kristallklaren Flüssigkeit und reichte eines der Agentin, die die Beine übereinander schlug. Er ahnte, daß sie ihm plötzlich nicht traute und beobachtet hatte; er nippte zuerst an dem Getränk. »Auf Ihr Wohl, und auf unsere Zusammenarbeit«, sagte er.
»Was verstehen Sie unter Zusammenarbeit?« fragte sie.
Er lächelte wieder.
»Sie werden mir helfen«, sagte er. »Ich muß dieses Buch haben. Es darf nicht in falsche Hände geraten. Ich kannte den Vorbesitzer, und mir ist die Art und Weise geläufig, wie es verschlüsselt ist. Man kann es nicht einfach öffnen. Und deshalb bin ich froh, daß Sie mir helfen werden. Ich kann die Auktion nicht noch einmal unter einem Vorwand verschieben lassen, und die Zeit ist zu knapp.«
»Ich verstehe nicht«, sagte die Agentin.
Sie sah, wie sich etwas im Gesicht des Chinesen veränderte. Die Stellung seiner Augen! Sie begannen sich zu drehen!
Sie erhob sich. »Herr Sheng… Sheng, was ist mir Ihren Augen?«
Sein Lächeln wirkte plötzlich wie das höhnische Grinsen des Teufels. Die Augenschlitze drehten sich, bis sie senkrecht standen. Tamara Galinovsk wollte schreien, aber es ging nicht.
Warum sollte sie schreien? Sie befand sich bei Sheng doch in Sicherheit! Sie liebte ihn sogar. Für ihn würde sie alles tun, was er wollte.
Auch Töten.
***
Ted Ewigk fuhr zu Zamorras Etage hinauf. Immer wieder versuchte er zu erkennen, was ihm an Ute Enkheims Bewegung aufgefallen war. Was hatte sie am Tisch getan? Er hatte doch nur schemenhaft etwas aus den Augenwinkeln bemerken können.
Ted hatte das unbestimmte Gefühl, daß sich einen Tag vor der Auktion alles immer mehr zuspitzte und auf eine Katastrophe hinauslief, aber er durchschaute die Zusammenhänge noch nicht. Vielleicht wußte Zamorra mehr. Fest stand mit ziemlicher Sicherheit, daß Dämonen hinter dem Buch her waren. Aber warum nahmen sie es sich nicht einfach? Scheuten sie die direkte Auseinandersetzung mit ihren Artgenossen? Das allein konnte es sein.
Ich muß in Erfahrung bringen, wie das Buch in die Auktion gekommen ist, überlegte Ted.
Er blieb vor Zamorras Zimmertür stehen. Zweimal vergewisserte er sich, daß es die richtige war, dann hämmerte er dagegen. Niemand antwortete.
»Professor Zamorra?« rief er halblaut. »Bitte,
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