0235 - Disco-Vampir
Tobias Fürchtegott Heinleyn mehrere Meter weit.
»Toby! Komm weg hier! Schnell…!« höte er Regina Stubbe rufen. Aber jetzt hatte er genug. Dieser Kerl, der alle Regeln des Anstandes mit Füßen trat, mußte eine Lehre erhalten.
Mit schreckgeweiteten Augen sah Achim Bretner den Gegner, der jetzt auf ihn zuraste. Der schwarze Mantel schien sich in zwei mächtige Flügel zu verwandeln. Die zugreifenden Hände Heinleyns kamen mit der Schnelligkeit von Raubvogelkrallen.
Im nächsten Moment war Achim Bretner in der Gewalt des Vampirs. Zwei Arme wie Stahlklammem preßten ihn an sich.
Verzweifelt drehte sich der Junge, um dem Gegner zu entkommen. Und er zeigte damit dem Vampir einen faszinierenden Anblick…
Der entblößte Hals schien Heinleyn magisch anzuziehen. Die Adern, durch die das rote Blut pulsierte…
Da war es wieder… dieses seltsame, unbeschreibliche Gefühl, das ihn überkam, als er das Zusammentreffen mit Regina Stubbe hatte. Und auch, als er mit den drei Mädchen vor der Disco Kontakt anknüpfte. Ein Gefühl, das er sich nicht erklären konnte.
»Beiß zu! Du mußt zubeißen! Und das Blut aussaugen!« floß es in seine Gedanken. Verzweifelt bemühte sich Anny Polat, die Hexe, dem Vampir ihren Willen aufzuzwingen, ohne daß sie ihm direkt in die Augen sah.
Das Drängen der inneren Stimme und das Verlangen des seltsamen Gefühls wurden übermächtig. Weit öffnete Tobias Fürchtegott Heinleyn seinen Mund zu dem Biß, der ihn zum echten Vampir machen sollte.
Mit entsetzt aufgerissenen Augen sah Achim Bretner die zwei Reihen blendendweißer Zähne.
Schlagartig wurde er nüchtern. Aber es gelang ihm nicht mehr, zu entkommen. Der Tod ließ seine Schatten über Achim Bretner fallen…
***
»Halt! Polizei!« Wie ein Revolverschuß durchschnitt eine Stimme den Raum. Mehrere Männer in den Uniformen der Ordnungshüter zwängten sich durch die Reihen der Zuschauer.
Tobias Fürchtegott Heinleyn vollendete sein Vorhaben nicht. Er ließ seinen Gegner los und wirbelte herum.
»Ach, du meine Güte… die Gendarmerie!« rief er. Während sich Achim Bretner über den Boden in Sicherheit rollen wollte, wich der Vampir zurück.
»Sieh mal an, der Bretner!« rief einer der Polizisten. »Den Herrn kennen wir schon. Na, Achim, der Knabe war wohl nicht so schwach, wie er aussah…?« Zwei der Beamten nahmen Bretner in ihre Mitte.
»Wenn wir Sie bitten dürften, mit zum Revier zu kommen!« wandte sich ein anderer Polizist höflich an Heinleyn. »Wir benötigen Ihre Aussage…!«
Aber der Mann aus der Zeit des Biedermeier hörte gar nicht richtig hin. Denn zu seiner Zeit war die Polizei noch das Machtinstrument der Obrigkeit gewesen. In der Zeit seines ersten Lebens hatte Heinleyn genug Scherereien mit dem Büttel gehabt. Daß die Polizei ein Freund und Helfer jeden anständigen Bürgers ist, konnte Tobias Fürchtegott Heinleyn nicht glauben.
Er mußte fliehen! Aber wohin! Die Discothek ließ keine Fluchtmöglichkeit erkennen.
»Komm zu mir. Berühre mich. Ich helfe dir!« flüsterte es durch seine Gedanken. Sein Blick sog sich an einer im neusten Modelook gekleideten Frau fest. Zwei stechend scharfe Augen glühten aus einem übertrieben blassen Gesicht, zu dem das lange, rabenschwarze Haar vorzüglich paßte.
»Ich helfe dir! Wir gehören zusammen. Aber wir müssen uns berühren!« vernahm der Vampir die Stimme der Hexe wieder.
»… es ist wirklich nur eine reine Formsache!« hörte er den Polizeibeamten wie aus weiter Feme sagen. Und auch das »Tu es, Toby, es ist besser so!«, das ihm Regina Stubbe zurief, fand bei ihm kein Gehör.
In der Zeit vor der Erfindung der Eisenbahn hatte der Bürger vor den Hütern des Gesetzes einen Heidenrespekt. Aber das konnten die Menschen dieser Tage nicht verstehen. Für sie war das, was sich jetzt vor ihren Augen abspielte, einfach unbegreiflich.
Wie eine Rakete schnellte Heinleyn über die Tanzfläche. Direkt auf diese seltsame Frau zu, die ihm die Hände entgegenstreckte.
»Stehenbleiben!« wurde hinter ihm gerufen. Aber er hörte nur die Worte der Hexe.
»Ich bringe dich in Sicherheit !«
Keiner der Polizisten war schnell genug, den Fliehenden einzuholen. Die schwarzhaarige Frau öffnete die Arme. Wie ein düsterer Vorhang schlang sich der große, schwarze Mantel des Vampirs um die beiden Gestalten. Nur Heinleyn hörte die Hexe einige Worte zischen, mit denen sie die Hölle um Beistand anrief.
Dann war nur noch ein brausender Wirbel…
Herbeieilende Polizisten
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