0238 - In der Voodoo-Hölle
früher gewisse Geistesanstrengungen nötig gewesen, um den Körper schweben zu lassen, besorgten dies nun Maschinen. Aber eine Abart der Magie war es doch.
Mit dem Scharfblick eines Adlers rund um sich spähend, betrat Amun-Re die Straße. Es war einer der weniger Tage, wo sich Amun-Re zu Hauptverkehrszeiten ins Freie wagen konnte, ohne aufzufallen.
Denn wie Achilles seine verwundbare Stelle an der Ferse hatte und Siegfried durch das Lindenblatt getötet werden konnte, so hatte auch das Schicksal auch dem Amun-Re eine verwundbare Stelle gegeben.
Es war wirklich absurd, was sich die Kräfte des Unbegreiflichen für den Herrscher des Krakenthrones ersonnen hatten.
Er konnte sein Gewand nicht wechseln und mußte ständig in seiner violetten Robe mit dem Kopftuch und den Insignien seiner Macht, Stimreif und Brustplatten, herumlaufen.
Er konnte sich nicht unter das Volk mischen. Amun-Re mußte andere für sich arbeiten lassen, während er aus seinem sicheren Versteck die Drähte zog und die notwendige Unterstützung durch schwarze Magie gab. Nicht nur, daß er in seiner Bekleidung Zamorra und seine anderen Feinde auf den Plan rief. Allein für den Goldwert des Schlangenreifs und die Brustplatten hätte mancher Mensch seine Seele dem Teufel verkauft. Ein gutgezielter Schuß, ein sirrendes Wurfmesser - Amun-Re war, wenn er sich nicht voll auf Abwehr konzentrierte, nicht unverwundbar. Undankbar, daß die rituellen Goldgegenstände des alten Atlantis durch Hände entweiht würden, die einen Amun-Re von hinten gemeuchelt hatten.
Aber hier, zu dieser Zeit, fiel Amun-Re trotz seiner seltsamen Gewandung nicht auf. Denn es war Karneval in Caracas. Jetzt, in den Abendstunden, war in den Straßen der venezuelanischen Metropole der Teufel los. Ein wahrer Wirbelsturm an buntschillernden und glitzernden Fantasiekostümen tobte durch die Straßen, überall dröhnten Trommeln, schmetterten Trompeten, klangen Gitarren und rasselten die Maracas. Der Rhythmus nahm das heißblütige Volk gefangen. Niemand dachte an das Morgen. Heute wurde getanzt und gefeiert.
Karneval in Caracas!
Durch den Strom derer, die sich im Sambarhythmus wiegten, drängte sich der Herrscher des Krakenthrones hindurch. Er schob hier ein protestierendes Paar beiseite, und drängte dort jemanden aus dem Wege, der sich im Rausch des Tanzes ganz gehen lassen hatte.
Amun-Re hatte es eilig. So schnell es ging, strebte er dem vereinbarten Treffpunkt zu.
Ein kleiner Flugplatz, von dem aus sie ihre Aktionen beginnen wollten.
Aktionen, mit denen sie sich die Welt unterwerfen wollten…
***
»Graziana ist eine Sklavin! Graziana ist eine Sklavin des Amun-Re!«
Kaum bewegten sich die Lippen des dunkelhäutigen Mädchens, das diese Worte immer wieder sprach.
»Graziana ist eine Sklavin des Amun-Re!«
Es war mehr ein Hauch, der sich beklemmend auf die Gemüter der Anwesenden legte. Die Augen von Morenas Sekretärin starrten nach Irgendwo. Es gab nicht das leiseste Anzeichen dafür, daß in dieser Frau noch so etwas wie ein eigener Wille wohnte. Die unheimlichen Gewalten des Hexenkönigs hielten ihren Geist in seinem Bann.
»Graziana ist eine Sklavin des Amun-Re!«
Zamorra hatte nur ein paar Worte mit Nicole gewechselt und ihr über den neuesten Stand der Ereignisse Aufschluß gegeben. Der Rest zu erzählen hatte er Stanton überlassen, der Zamorras Begleiterin in gedämpftem Ton über alles Weitere unterrichtete. Selbst Cora, der Graupapagei, schien von der gedrückten Stimmung angesteckt zu sein. Zwar beobachtete er alles mit seinen großen Augen, aber er verhielt sich merkwürdig ruhig. Weder einer der schrillen Krächzlaute noch eine anzügliche Bemerkung in der Sprache der Menschen kam aus dem krummen Schnabel.
Zamorra hatte sich derweilen im Badezimmer etwas erfrischt und die Kleidung, die bei dem Kampf in der düsteren Gasse verschmutzt worden war, gewechselt.
Er trug jetzt einen saloppen Jeansanzug in blendendem Weiß und ein dunkelgrünes Hemd, von dem er nur wenige Knöpfe geschlossen hatte. Bei der drückenden Hitze in Caracas kein Wunder, dachte Stanton.
»Ich muß jetzt schnell zu Werke gehen!« sagte der Meister des Übersinnlichen, als er einige Minuten später wieder das Zimmer betrat. »Irgend etwas hat sie geblockt. Es sollte mich gar nicht wundem, wenn unser großer Feind die Kunst der Hypnose angewendet hat. Immerhin ist es die einfachste Art der Magie, den Geist eines Menschen zu unterjochen und ihn sich dienstbar zu machen!«
Nicole Duval
Weitere Kostenlose Bücher