0243 - Asyl der Gespenster
spöttischen Lächeln auf den Lippen. »Niemand wird es wagen, hier beispielsweise einzubrechen. Selbst wenn ich hier die Kronjuwelen frei herumliegen hätte!«
»Ja, ich habe einige merkwürdige Phänomene beobachtet!« stotterte Jeremy Smither. »Aber das ist doch kein echter Schutz gegen Gefahren, die kommen können!«
»Mein lieber Freund«, sagte der hochgewachsene Adlige mit dem grauen Haar, dem kühnen Schnurrbärtchen und dem undefinierbaren Alter. »Pembroke-Castle birgt in seinen Mauern mehr Gespenster und Geister, als der Bauer Mäuse in der Scheune hat. Und täglich kommen neue hinzu. Denn durch den Umbau alter Herrenhäuser oder der Renovierung von Schlössern werden selbstverständlich die Gespenster verjagt. Dazu kommen noch die, hinter denen Gespensterjäger her sind. Glauben Sie mir, diese Wesen wissen, was sie an meinem Anwesen haben. Und sie machen nicht nur hier ihre Runden, sie machen sich auch nützlich. Was glauben sie, was Tom und Jerry, die sie schon kennengelernt haben, mit einem Einbrecher machen? Ich glaube, kein Gericht der Welt könnte einen solchen armen Teufel schlimmer bestrafen. Aber auch, als vor zwei Monaten das Dach der Stallungen brannte, haben meine Untermieter mit ihren unheimlichen Kräften gelocht. Ich habe dann neues Baumaterial im Hof ablagem lassen und nach der nächsten Geisterstunde war die Arbeit erledigt.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte Jeremy Smither unsicher.
»Nun, nicht alle Gespenster, die hier hausen, sind solche Tunichtgute wie Thomas und Jeremias«, erklärte der Earl. »Einige von ihnen waren in der Zeit ihres Lebens ganz passable Handwerker.«
»Und die haben die Burg repariert?« fragte Smither.
»Aber sicher!« nickte Sir Archibald of Pembroke. »Wissen Sie, in der sogenannten Geisterstunde, der ersten Stunde eines neuen Tages, können Gespenster im vorstellbare Kräfte entwickeln. Ob sie nun den Lebenden damit Schaden bereiten oder sich nützlich machen, das ist egal. Ihnen ist wahrscheinlich schon aufgefallen, daß es in meinem gesamten Anwesen keine Bediensteten gibt, wie man es von einem solchen Adelssitz erwarten müßte…«
»Mit Ausnahme des Butlers!« fuhr Smither dazwischen.
»Ja, James McBill hat besondere Fähigkeiten«, nickte der Earl zweideutig. »Der umsorgt mich auch am Tage, wo die anderen Geister gewissermaßen Schwierigkeiten haben. Aber sonst wird hier alles von meinen Untermietern erledigt. Tut mir leid, daß Sie sich die Reise gemacht haben, Mister Smither. Sie hätten mich vorher anrufen sollen… !«
»Ich hätte Ihnen nicht geglaubt«, sagte Jeremy Smither, der ein gutes Geschäft dahinschweben sah. Teufel noch eins! War die ganze Reise für die Katz gewesen. Gewiß, es gab hier einige unerklärliche Dinge. Aber vielleicht waren es Taschenspielertricks, um unliebsame Besucher abzuschrecken. Die Sache mit den Poltergeistern konnte gut inszeniert gewesen sein. Immerhin war es im Vorhof dunkel.
Ein echtes Gespenst hatte Jeremy Smither noch nicht gesehen. Und je mehr der Versicherungsagent darüber nachdachte, um so mehr kam er zu der Überzeugung, daß der Earl hier der ganzen Welt einen mächtigen Bären aufband, um ungestört vor der lieben Verwandtschaft oder den Bediensteten des Finanzamtes ihrer Britischen Majestät zu leben.
Er war sich fast sicher, daß das ganze Gespenstertheater nur inszeniert wurde, um Leute wie ihn zu vertreiben. Denn immerhin hatte ihn der Butler vorher gesehen und man konnte sich auf Pembroke-Castle auf seinen Besuch vorbereiten.
»Ja, dann tut es mir leid, Sir, Ihre sicher recht kostbare Zeit in Anspruch genommen zu haben«, verabschiedete sich Jeremy Smither und fügte noch einige Höflichkeitsfloskeln hinzu, an denen die englische Sprache überreich ist.
Nachdem auch Sir Archibald mehrfach behauptet hatte, daß ihm Smither keineswegs zur Last gefallen wäre, wurde Smither vom Butler den Weg zurückgeführt. Wie ein Luchs beobachtete der Versicherungsvertreter die Umgebung, während ihn der Butler gemessenen Schrittes durch die Säle von Pembroke-Castle führte. James McBill legte dabei keine große Eile an den Tag. Manchmal blieb er stehen, um den Versicherungsvertreter auf die eine oder andere Kostbarkeit aufmerksam zu machen, die überall ziemlich ungeschützt herumlagen.
In Jeremy Smither erwachte ein tollkühner Plan. Er mußte Sir Archibald zeigen, daß sein Schloß nicht unangreifbar war und daß es Männer gab, die sich von dem Flair des Unheimlichen, das über
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