0243 - Asyl der Gespenster
»Ich bin Jeremy Smither aus London. Darf ich auch Ihren Namen erfahren?«
»Da Ihr so höflich fragt, wisset, wer ich in den Tagen meines Lebens war«, grollte es aus der Rüstung. »Einst herrschte ich über dieses Land. Vernehmet denn, ich bin Richard von Gloster…«
»Richard III!« stammelte Smither…
***
»Nein, Zamorra! Tu es nicht! Bitte nicht!« kreischte Lady Viviane. »Ich will nicht in die Hölle…«
Die Gestalt des Gespenstes, eben noch hochdrohend aufgerichtet, fiel zusammen. Die beiden Jungen merkten sofort, daß sie ihre Opfer losließ. Erschöpft hingen die beiden Mädchen in den Armen der nur mit dem Nötigsten bekleideten Jungen.
Lady Viviane wußte, daß es keinen Zweck hatte, zu drohen oder einen Angriff zu planen.
Der Mann, der ihr gegenüberstand, wurde von Freund und Feind der »Meister des Übersinnlichen« genannt. Vor seiner Macht war Lady Viviane ein Nichts. Sie hatte nur die Chance, dem Höllenrachen zu entgehen. Sie mußte sich Professor Zamorra ergeben.
Die ganze Gestalt der Weißen Lady wankte hin und her.
»Was soll denn das jetzt?« fragte Michael Ullich, denn Professor Zamorra hatte sich auf sein Amulett konzentriert, aus dem jeden Augenblick die gespenstervernichtende Energie hervorschießen mußte.
»Das siehst du doch!« erkannte Carsten Möbius die Sachlage ganz richtig. »Sie schwenkt die weiße Fahne. Sie bittet um Frieden!«
Diese Art, Frieden zu flaggen, hatte der Meister des Übersinnlichen noch nie erlebt. Das Gespenst hatte originelle Einfälle. Dabei konnte er nicht ernst bleiben.
Die Konzentration auf das Amulett verschwand schlagartig. Merlins Stern wurde nicht aktiviert.
Erst glucksend, dann kichernd kam es über Professor Zamorras Lippen. Dann bog sich der Parapsychologe vor Lachen in das die anderen Anwesenden lautstark mit einstimmten. Auch Tina Berner und Sandra Jamis, noch kreidebleich von dem überstandenen Schreck, konnten sich nicht beherrschen und kicherten in diesem Lachorchester die Oberstimme.
»Darf ich aus Eurem Gelächter entnehmen, daß Ihr mir nichts mehr tun wollt?« fragte das Gespenst verschüchtert.
»Nur, wenn du dich anständig benimmst«, sagte Professor Zamorra, mit Mühe die Heiterkeit unterdrückend.
»Und wenn du sofort und auf der Stelle hier verschwindest!«
»Ja! Mach, daß du rauskommst«, sagte Carsten Möbius mit Nachdruck.
»Aber wohin denn? Draußen ist es dunkel«, jammerte das Gespenst. »Ihr habt versprochen, daß ich eine Nacht hierbleiben und spuken darf!«
»Dann spuk unten im Kohlenkeller!« empfahl Carsten Möbius. »Aber geh nicht an Väterchens Weinvorräte!«
Einen Augenblick später war das Gespenst fortgeschwebt.
»Das wird ja immer schöner«, beschwerte sich Zamorra. »Hältst du dir jetzt noch zu allem Überfluß den Hausgeist, den ich gerade erst von Schloß Windsor verjagt habe?«
»Aber sicher«, grinste der Millionenerbe vergnügt. »Vielleicht werde ich mal Direktor einer Geisterbahn. Zwei reizende Hexen haben wir schon!« wies er auf die beiden unbekleideten Mädchen.
»Dann sollen sich die beiden mal auf ihren Besen schwingen und sich was anziehen«, empfahl Professor Zamorra. »Man ist schließlich nur ein Mann. Und ihr beiden Helden könnt mir derzeit helfen, die Koffer aus dem Wagen zu laden. Ich habe vor, hier einige Tage auszuspannen!«
»Bestimmte Studienzwecke?« fragte Michael Ullich und wuchtete einen schweren Koffer aus dem silbergrauen Opel-Senator. »In dem Koffer hast du doch sicherlich eine ganze Bibliothek versteckt?«
»Na, dann mach doch mal auf«, empfahl Zamorra.
Michael Ullich staunte nicht schlecht, als ihm bei der Öffnung des Gepäckstückes eine riesige Anzahl Briefe entgegenquoll.
»Wenn ich Zeit habe, mich nach England zurückzuziehen, nehme ich immer die wichtigste Post mit«, grinste Zamorra dünn. »Nicole sagt, die müßte ich alle dringend selbst beantworten.«
Michael Ullich stieß einen Seufzer aus.
»Na, ihr beiden könnt mir als Ghostwriter ein bißchen zur Hand gehen«, grinste Professor Zamorra.
»Nur, wenn die Absender hübsche Mädchen sind«, erklärte Carsten Möbius kategorisch…
***
»Ein Irrer! Offensichtlich ein Verrückter, dem sie Urlaub von der Klapsmühle gegeben haben«, murmelte Jeremy Smither vor sich hin, während er die ersten Häuser von Nettlecombe auftauchen sah.
Scopulus, der Dämon in der Gestalt König Richards III, hatte zu der gleichen Zeit das Tor von Pembroke-Castle erreicht, als sich Jeremy Smither beim Wirt
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