0244 - Der Eulenmann
Augen weiteten sich.
Ein riesiger Vogel! Ein menschengroßes Ungeheuer, eine gigantische Eule! Sie tappte auf ihren Krallenfüßen in die Höhle hinein. Die großen Augen sahen sich um, der Kopf drehte sich rasch hin und her. Leicht spreizte das bizarre Wesen die mächtigen Flügel.
Pfeifende und krächzende Laute erklangen. Doch der Mann mit den grünen Augen schien sie deutlich zu verstehen. Er streckte den Arm aus und deutete auf einen der beiden Toten.
»Unser Experiment«, sagte er. »Erinnerst du dich daran? Ich habe sie beide vorbereitet. Versuche, einen von ihnen aufzunehmen.«
Die Eule krächzte wieder etwas. Dann drehte sie sich.
Philippe stöhnte verzweifelt auf. Er sah, wie in den Toten im dunklen Westenanzug Bewegung kam! Eine unsichtbare Kraft erfaßte ihn. Zwischen ihm und der Rieseneule flirrte die Luft. Dann richtete der Tote sich auf und tappte mit eckigen, roboterhaften Bewegungen auf die Eule zu.
»Nein!« schrie Philippe. »Das ist unmöglich!«
Niemand achtete auf ihn.
Der kopflose Tote erreichte die Eule, machte noch einen Schritt.
Beider Umrisse wurden unscharf und verschmolzen miteinander. Philippe keuchte entsetzt. Als er wieder klar sehen konnte, stand dort nur noch ein Wesen, wo gerade noch zwei waren. Aber dieses eine Wesen war eine Mischung aus beiden. Dem menschlichen Körper entwuchsen die Schwingen der Eule, an deren Enden scharfkrallige Hände saßen, und auf dem Hals ruhte der mächtige Eulenkopf mit dem scharfen Schnabel.
Der Mischkörper bewegte sich.
»Ich glaube, ich beherrsche ihn«, hörte Philippe den Eulenmann jetzt mit menschlicher Stimme sagen. »Vielleicht sogar besser als dich. Denn er widerspricht mir nicht immer. Er denkt mir nicht entgegen. Vielleicht sollte ich nur noch Seelenlose übernehmen.«
»Du weißt, daß wir uns gegenseitig brauchen«, sagte der Schwarze. »Deshalb sind das hier nur Ersatzkörper.«
»Und der da?« Einer der krallenbestückten Flügel zeigte auf den gefesselten Philippe.
»Es kommt darauf an, wie ich ihn einsetzen kann«, sagte der Schwarze. »Vielleicht bekommst du ihn bald, vielleicht auch später…«
»Er hat einen interessanten Kopf«, sagte die Eule. »Ich werde ihn mir vormerken. Ich will ihn haben.« Philippe erschauerte.
Das also war die Bestie, die Frances tötete…
»Er haßt mich, fühlst du es?« sagte der Eulenmann und kicherte meckernd. »Er möchte mich zerreißen. Du solltest die magischen Fesseln lösen. Ich will sehen, was er macht.«
»Jetzt noch nicht«, wehrte der Schwarze ab. »Später.«
»Ich erinnere dich daran, Druide. Jetzt aber werde ich Zamorra zur Strecke bringen. Mit diesem Körper brauche ich keine Rücksichten zu nehmen.«
Zamorra! durchzuckte es Lenoir. Das Monster will Zamorra zur Strecke bringen… gehören sie doch nicht zusammen? Habe ich einen Fehler gemacht?
Er glaubte in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen.
Der Eulenmann schritt aus der Höhle und verschwand in der Nacht.
»Sei vorsichtig«, rief der Druide ihm nach. »Zamorra ist gefährlich.«
»Nicht mehr lange«, krähte der Eulenmann siegessicher. Philippe hörte das Rauschen seiner Flügel, das sich eilends entfernte.
Zamorra! dachte er. Ich war auf der falschen Fährte! Und nun sitze ich hier, nein, ich liege, und bin Frances’ Mördern ausgeliefert…
Der Druide kicherte wieder. Zum ersten Mal sprach er Philippe Lenoir an.
»So eben spielt das Leben«, sagte er.
***
Zamorra zuckte kaum merklich zusammen. Das Amulett vibrierte leicht und erwärmte sich.
»Schwarze Magie«, zischte er überrascht.
Mit einem raschen Sprung war Nicole bei ihm. »Wie?«
Er umfaßte die handtellergroße Silberscheibe. Das Amulett ortete die Ausstrahlung schwarzer Magie. Irgendwo in der Nähe geschah etwas, das die Silberscheibe erfassen konnte. Aber wie paßte das in diesen Fall?
Der Meister des Übersinnlichen hob Merlins Stern an und starrte den Drudenfuß, das durchgezogene Fünfeck im Zentrum, an. Er jagte einen konzentrierten Gedankenbefehl in die Scheibe.
Zeige mir den Ausgangspunkt der bösen Kraft!
Etwas veränderte sich.
Im Zentrum des Drudenfußes bildete sich ein dunkler Fleck, vergrößerte sich rasch und nahm schließlich in Form eines fünfzackigen Sterns die Innenfläche ganz ein. Und dieser Fleck zeigte den Sternenhimmel wie ein winziger Fernsehschirm.
Zamorras Augen wurden schmal. Er versuchte, so viel wie eben möglich zu erkennen.
Und er sah plötzlich vor dem schwarzen Nachthimmel ein noch schwärzeres
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