0247 - Der Schädelthron
laufen, kann man mit Gehen durch Wasser vergleichen. Wir zogen ein Bein raus, stießen das nächste hinein, und so ging es weiter.
»Der narrt uns«, beschwerte sich Nils. »Dieses verdammte Monster weiß genau, daß wir ihm auf der Spur sind und…«
»Da ist es!« Bills Ruf unterbrach den Inspektor. Der Reporter war stehengeblieben, hatte den Arm ausgestreckt und deutete nach vorn.
Auch wir sahen es.
Unter den tiefhängenden Zweigen einer hohen Tanne bewegte sich etwas. Ein normales Tier war es nicht, und einen Augenblick später hatten wir Gewißheit, weil es seine Deckung verließ.
»Mein Gott!« stöhnte Nils und preßte seinen Handschuh gegen die Lippen. »Das darf doch nicht wahr sein.«
Es war aber eine Tatsache. Was wir da sahen, paßte in ein Horror-Kabinett.
So groß wie wir war dieser Eulenmensch. Kleidung trug er nicht mehr. Er wurde dafür durch das Gefieder gewärmt, das auf seiner Haut wuchs. Die Federn standen schräg und dicht an dicht wie Haare. Sie bildeten einen regelrechten Pelz, der sich bis hoch zum Gesicht hinzog. Aber war es noch ein Gesicht?
Nein, ein Eulenkopf mit großen Augen und einem langen gebogenen Schnabel.
»Das muß der Waldarbeiter sein«, hauchte Nils Björnsson. »Es gibt für mich keine andere Möglichkeit.«
Niemand widersprach, denn der Eulenmann erreichte immerhin die Größe eines ausgewachsenen Menschen. Er hatte uns ebenfalls gesehen, denn seine großen Augen waren starr auf uns gerichtet.
»Was machen wir? Schießen?« Diese Frage stellte der Inspektor aus Norwegen.
»Nur, wenn er uns angreift«, flüsterte ich.
»Was sollte er sonst tun?« wisperte Nils.
»Vielleicht hat er eine besondere Aufgabe zu erfüllen«, gab ich ebenso leise zurück.
Suko hatte schon seine Dämonenpeitsche gezogen, wie ich mit einem Seitenblick feststellen konnte. Das war irgendwie beruhigend, denn an die Berettas kamen wir nicht so schnell heran, dafür mußten wir uns erst unserer dicken Handschuhe entledigen.
Der Eulenmensch hatte überhaupt nicht vor, uns zu attackieren. Beinahe gelassen drehte er sich um und verschwand geduckt zwischen den tief hängenden Ästen und Zweigen der hohen Nadelbäume. »Ihm nach!« zischte Suko.
Diesmal übernahm der Chinese die Führung. Wir blieben zusammen. Schließlich wußten wir nicht, welche Überraschungen uns noch erwarteten.
Es wurde ein beschwerlicher Weg. Je mehr die Zeit fortschritt, um so weniger sahen wir, denn die Dämmerung breitete sich allmählich aus und verschonte auch nicht das große Waldstück.
Mal mußten wir bergauf laufen, kamen dann nur auf allen vieren voran, anschließend führte der Weg in die Tiefe, da rutschten wir, erreichten auch mal eine Lichtung und waren schließlich gezwungen, die mitgenommenen Taschenlampen einzuschalten.
Das andere Werkzeug lag im Wagen.
Ich hatte die Befürchtung, daß wir uns verirrten und der Eulenmensch nur mit uns spielte.
Hin und wieder nur entdeckten wir ihn, ansonsten hielt er sich vornehm zurück, so daß wir uns an seinen hinterlassenen Spuren orientieren mußten.
Die Kälte biß. Da die Sonne inzwischen verschwunden war, sanken auch die Temperaturen, und ich war froh, die fellgefütterte Jacke angezogen zu haben. Sie ließ zudem keine Feuchtigkeit durch, ebensowenig wie die hohen Stiefel. Als es schließlich fast dunkel war, erreichten wir den Rand einer Lichtung.
Dort blieben wir erst einmal stehen.
»Kennen Sie sich hier aus, Nils?« fragte ich den norwegischen Kollegen.
Er schüttelte den Kopf.
»Und wo könnten wir ungefähr sein?«
»Wir sind in Richtung Norden gelaufen, mehr kann ich auch nicht sagen.«
Damit war uns kaum geholfen. »Besteht denn die Chance, daß wir Menschen treffen?«
Er hob die Schultern. »Wer sollte sich in diese gottverlassene Gegend schon verirren? Doch nur Verrückte.« Während wir uns leise unterhalten hatten, war Suko ein paar Schritte vorgegangen. Er bahnte sich seinen Weg durch das Unterholz, und wir vernahmen seinen erstaunten Ruf.
»He, kommt mal her!« Rasch waren wir bei ihm.
Suko deutete nach vorn, und wir trauten unseren Augen nicht. Das war wie im Märchen, denn damit hätten wir nicht gerechnet.
Mitten auf der Lichtung stand ein Haus!
Keiner von uns sprach, denn diese Überraschung mußten wir erst einmal verdauen.
»Also doch Menschen«, meinte Bill schließlich.
»Siehst du welche?« fragte ich.
»Nein.«
»Na bitte. Und es brennt auch kein Licht hinter den Fenstern.« Die konnten wir nämlich noch erkennen,
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