0248 - Auf dünnen Seilen tanzt der Tod
waren Sie dann heute Abend schon kurz nach neun wieder hier?«
»Vater hatte keine Zeit. Irgendwas ist mit einem Pferd. Er war mit dem Tierarzt im Stall. Da ging ich zurück zum Wagen, weil ich noch ein paare eilige Briefe schreiben wollte.«
»Begegneten Sie jemandem?«
»Nein. Außer Beppo.«
»Dem Clown?«
»Ja. Er kam vom Zelt, von seinem Auftritt. Ich wundere mich oft, wie der alte Mann das noch immer schafft. Er ist gut an die siebzig.«
Phil Decker rauchte eine ganze Weile schweigend, mit fast geschlossenen Augen. Miss Johnson sah, dass er konzentriert über irgendetwas nachdachte. Schon wollte sie das lange Schweigen brechen, da sagte Phil plötzlich:
»Miss Johnson, gehen Sie doch bitte mal zu Ihrer Mutter und danach zu Ihrem Vater. Stellen Sie fest, ob beide noch den Schlüssel zum Panzerschrank haben.«
»Ja, Mr. Decker. Bleiben Sie hier?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben?«
»Selbstverständlich nicht. Ich wollte nur wissen, ob ich den Wagen abschließen muss. Ich werde ihn jetzt jedesmal abschließen, wenn ich mal rausgehe.«
»Hatten Sie das vorhin nicht getan?«
»Nein. Ich habe das früher nie getan. Der Wagen stand immer offen. Wirklich wichtige Dinge lagen verschlossen im Panzerschrank, den ich für absolut sicher hielt. Warum hätte ich da abschließen sollen? Ich glaube, keiner schließt seinen Wagen ab. Jedenfalls habe ich noch nie gemerkt, dass jemand den Wagen abgeschlossen hatte. Das ist bei uns nicht üblich.«
»Hm… Trotzdem ist es vielleicht besser, wenn Sie es in Zukunft tun, Miss Johnson. Jetzt kümmern Sie sich bitte einmal um die Schlüssel.«
»Ja, Sir.«
Sie verließ den Wagen. Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, da zog Phil Decker schnell ein kleines Etui aus seinem Jackett. Er zog den Reißverschluss auf und entnahm einen Pinsel und eine kleine Flasche, in der sich ein feines Pulver befand.
Ein paar Minuten später hatte er bereits alle vorderen Partien des Panzerschranks mit dem Pulver eingepinselt. In der Höhe des Türschlosses wimmelte es von Fingerabdrücken, die deutlich hervortraten.
Phil nahm eine Klebefolie nach der anderen, drückte sie auf die Abdrücke und zog sie wieder ab. Nunmehr befand sich der Abdruck auf der Klebeseite der durchsichtigen Folie, und als er diese der Reihe nach auf ein paar mitgebrachte weiße Karten drückte, waren die Abdrücke bis in alle Ewigkeit gesichert. Der G-man arbeitete schnell und gewandt. Als er sämtliche brauchbaren Abdrücke sichergestellt hatte, wischte er den Schrank mit einem Taschentuch wieder ab, steckte Karten und Etui ein und setzte sich, mit einer Zigarette versehen, in den Drehstuhl hinter Miss Johnsons Schreibtisch. Nim dauerte es nicht mehr lange, bis die rothaarige Tochter des Zirkusdirektors zurückkam. Ihre Wangen waren getötet, ihr Atem ging stoßweise.
»Mutter hat ihren Schlüssel verloren«, keuchte sie aufgeregt. »Sie hat es gerade erst entdeckt, als ich sie danach fragte. Das Kettchen muss gerissen sein. Sie hat nichts davon gemerkt.«
Phil Decker war auf gestanden. Er sah sinnend auf die Glut seiner Zigarette.
»Das war ja wohl zu erwarten«, murmelte er. »Übrigens, Miss Johnson, gibt es irgendwelche Unterlagen, aus denen man ersehen kann, wer im Jahre 1943 hier bei Ihren Eltern beschäftigt war?«
Eve Johnson war wieder zu Atem gekommen. Jetzt runzelte sie die Stirn und sah Phil verständnislos an.
»1943?«, wiederholte sie gedehnt.
»Ja, 1943. Wenn es solche Unterlagen gibt, suchen Sie sie mir bitte bei Gelegenheit einmal heraus. Ach so, ja, noch etwas. Sagen Sie mir bitte der Reihe nach, wer in den umliegenden Wohnwagen lebt.«
Er stellte sich schon an die Tür und zeigte der Reihe nach auf die Wagen. Miss Johnson zählte die Namen ihrer Bewohner auf. Decker machte sich eine Skizze und notierte. Als er fertig war, klappte er das Notizbuch zu und sagte:
»Das wäre einstweilen alles. Übrigens -der Täter muss ein ganz raffinierter Bursche gewesen sein. Er hat den Panzerschrank hinterher abgewischt. Ich habe nicht einen einzigen Fingerabdruck finden können. Gute Nacht, Miss Johnson. Angenehme Ruhe. Und wenn Sie wieder mal ein Rendezvous mit Tec-Man Earthy White haben, soll er seinen ölverschmierten Kittel ausziehen. Das gibt Flecken, da.«
Phil Decker zeigte auf einen dunklen Fleck an der Hüfte von Miss Johnsons hellem Rock. In seinen Augen blitzte ein ironisches Lächeln. Er drehte sich schnell um und sprang leichtfüßig die Stufen vom Wohnwagen hinab. Eine
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