0248 - Gatanos Galgenhand
drehte sich von mir weg, während die Klingel ein zweitesmal anschlug.
Diesmal nahm ich das Heft in die Hand, öffnete die Tür, sah niemanden und betätigte den Kontakt, damit der Besuch die Haustür aufstoßen konnte. Ich vernahm das typische Geräusch. Dann hörte ich Schritte und merkte auch, daß zwei Menschen miteinander sprachen. Ein Mann und eine Frau. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen. Sie gerieten jedoch rasch in mein Blickfeld.
Zuerst das Mädchen.
Es schaute zu mir hoch. Unsere Blicke begegneten sich, und ich glaubte mich zu erinnern, dieses Gesicht auf Plakatwänden gesehen zu haben.
Judy Jackson war ein lokaler Star.
»Sie sind doch nicht Tanith«, sagte sie zur Begrüßung, als sie vor mir stehenblieb.
»Nein, nein, Miß Jackson. Madame Tanith erwartet sie.«
»Dann laß uns endlich hineingehen.« Diesen Satz sprach ihr Begleiter, ein mieser Schaumacher, der mich mit keinem Blick würdigte und sich kurzerhand über die Türschwelle drängte, wo Tanith schon wartete.
Ich war auf die Begegnung gespannt Diese Judy Jackson kam nicht zum erstenmal. Wie würde sie reagieren, wenn sie plötzlich die Stimme der Lucille vernahm?
Ich schloß hinter den beiden Besuchern die Tür.
Der Mann stand im Gang und schaute sich um. Lässig hatte er einen Schal um den Hals geworfen. Seine Mundwinkel waren nach unten gezogen. Er machte den Eindruck, als würde ihn alles furchtbar stören oder auf den Geist gehen.
Judy drehte sich zu Tanith um. Sie lächelte freundlich, bevor sie redete.
»Wahrscheinlich werden Sie von mir nur gehört haben, Madame, aber ich hatte bereits mehrere Sitzungen bei Ihrer Vorgängerin, und Sie sind mir natürlich auch bekannt.«
»Danke, das ist nett von Ihnen…«
Ich beobachtete nur Judy. Ihr Gesicht veränderte sich. Hatte sie vorhin noch gelächelt, so froren ihre Gesichtszüge plötzlich ein. Alles an ihrem Gesicht schien zu erstarren, das Lächeln blieb längst nicht mehr, und sie stieß pfeifend die Luft aus.
»Wie…wie ist das möglich?« flüsterte sie, trat einen Schritt zurück, schaute erst mich an, dann ihren Begleiter, wobei sie heftig den Kopf von rechts nach links bewegte.
»Was ist möglich?« fragte der Mann.
»Bernie, ich…ich…« Sie schluckte. »Verflixt, ich drehe hier noch durch.«
»Sag doch was!« fuhr dieser Bernie die Frau an. »Was hast du? Weshalb führst du dich so auf?«
»Ich bin völlig durcheinander«, gab Judy Jackson zu. Sie machte tatsächlich einen konfusen Eindruck. Ein paarmal holte sie tief Luft, schaute in die Runde und sah auch mich dabei an. »Können Sie mir eine Erklärung geben, Mister?«
»Vielleicht«, erwiderte ich.
»Wer sind Sie überhaupt?« fuhr mich Bernie an. »Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich heiße John Sinclair und bin ein Bekannter der Hellseherin Tanith. Ich komme übrigens aus London.«
»Na und?«
»Was meinen Sie?«
»Ich will eine Erklärung. Weshalb ist Judy so perplex? Das kann doch nicht an der Frau liegen.«
»Vielleicht doch.«
Bernie fuhr herum. »Dann erkläre du mir, was so ungewöhnlich an dieser Frau ist.«
»Sie hat eine andere Stimme.«
»Das kann ich mir vorstellen. Schließlich siehst du sie zum erstenmal, oder nicht?«
»Das schon, aber sie spricht mit der Stimme ihrer toten Vorgängerin Lucille.«
Das Gesicht dieses Bernie nahm plötzlich einen urkomischen Ausdruck an. Sein Mund stand offen, und auf seinen Zügen konnte man das Fragezeichen förmlich sehen, das sich dort abzeichnete.
Ein paarmal mußte er schlucken, grinste dümmlich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme: »Was hast du da gesagt? Diese Frau spricht mit Stimme der…«
»Ja, so ist es.«
»Aber wie ist das möglich?« Bernie wuchtete seine Hand auf den Oberschenkel.
Er nickte herum und wandte sich an mich. »Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Möglicherweise.«
»Aha. Noch so ein Spinner. Ein Überschlauer also.«
Ich blieb gelassen. »Sie haben mich etwas gefragt, und ich gab Ihnen eine Antwort. Wenn sie damit nicht zufrieden sind, dann sollten Sie es nicht auf diese Art und Weise dokumentieren. Die Sache ist viel zu ernst, denn es geht um Dinge, die wir im Augenblick weder überblicken noch erklären können.«
»Okay, okay, ich halte mich zurück, denn ich weiß hier von allen am wenigsten, wie mir scheint. Was also ist los?«
»Sollten wir das statt im Flur nicht lieber woanders besprechen?« fragte ich.
Bernie blickte auf seine Uhr und dann auf das Mädchen.
»Meinetwegen«,
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