0248 - Gatanos Galgenhand
ja.«
»Dann handle danach«, erklärte Bernie, schob sich an ihr vorbei und drückte auf den Klingelknopf, unter dem ein schlichtes Schild mit dem Namen Tanith stand…
***
Das Kreuz beschrieb einen blitzenden Bogen. Die Kette hielt ich dabei gut fest, denn ich wußte nicht, ob das Kruzifix, wenn es einmal mit dem Spiegel Kontakt bekam, auch wieder zurückkehren würde. Innerhalb einer Sekunde mußte sich alles entscheiden.
Und ich wollte einen Mord verhindern. Vielleicht die endgültige Vernichtung dieser Lucille.
Kontakt!
Das Silberkreuz, so kraftvoll wie nur eben möglich geworfen, krachte gegen die helle Spiegelfläche.
Würde sie halten?
Nein, sie splitterte.
Wie in einer Zeitlupenaufnahme bekam ich die nächsten Ereignisse mit, obwohl sie eigentlich sehr schnell vor meinen Augen abliefen, aber sie waren für diesen Fall entscheidend.
Zuerst sah ich das Muster. Keine normale Scherben-Geometrie, sondern ein wildes Durcheinander ineinander fallender Splitter, die nicht innerhalb des Spiegels verschwanden, sondern zu Boden fielen und dort einen kleinen Scherbenhaufen bildeten.
Im selben Augenblick hörte ich ein hohles Pfeifen. Das Bild war verschwunden. Ich sah weder Lucille noch den geheimnisvollen Henker, sondern hörte nur ein Fauchen, und dicht an meinem Gesicht fuhr ein kalter Hauch vorbei.
Das war alles.
Als das Kreuz wieder zurückschwang, gab es auch die Spiegelfläche nicht mehr. Zwischen den vier Rahmenseiten befanden sich nur noch kleine Splitter.
Auch die brennenden Lampen waren zerbrochen oder erloschen. Ein völlig normaler Gegenstand war dieser Spiegel jetzt. Nichts deutete darauf hin, daß sich in ihm eine gewisse Magie befand.
Ich blieb stehen und schaute für einen Moment zu Boden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, eine Niederlage verkraften zu müssen. Der Spiegel war zerstört, ich hatte eine Verbindung in die andere Welt aufgegeben, die ich nicht mehr zurückholen konnte.
Aber ich erinnerte mich noch genau an den kalten Hauch, der mein Gesicht gestreift hatte.
Etwas hatte den Spiegel verlassen.
Der Geist des Henkers vielleicht oder beide? Eine Antwort wußte ich nicht, aber ich hatte durch meine Aktion irgend etwas freigesetzt, das gefährlich werden konnte.
Ein tiefes Stöhnen erinnerte mich wieder an Tanith, und ich drehte mich herum. Himmel, an sie hatte ich in den letzten Sekunden überhaupt nicht mehr gedacht. Wie war es ihr nur ergangen?
Tanith hatte ihren Oberkörper erhoben. Sie war sehr blaß im Gesicht. So stark, daß ich sogar erschrak. Ihre Augen zeigten einen seltsamen Ausdruck. Sie waren geweitet, die Lippen zitterten, die Nasenflügel vibrierten.
In ihren Pupillen las ich einen Ausdruck, den ich bei ihr noch niemals gesehen hatte. So fremd, so anders, so zweifelnd.
Ja, genau. Zweifelnd war der richtige Ausdruck dafür. Irgend etwas war mit ihr geschehen. Hatte sie die Beschwörung doch nicht verkraftet?
Hatte ich vielleicht zuviel von ihr verlangt? Hätte ich mich ihren Wünschen beugen müssen?
Aller Wahrscheinlichkeit nach ja. Ich hatte ihr wirklich etwas zuviel zugemutet.
Ich lächelte sie an. »Tanith, hörst du mich? Was ist mit dir geschehen? Gib bitte Antwort!«
Sie drehte den Kopf, demnach hatte sie mich verstanden. Dann löste sie ihre Hände von der Kugel und schaute zu mir hoch.
»Tanith, so sage doch etwas.«
Sie schüttelte den Kopf. Das geschah in einer gespenstischen Art und Weise, denn kein Wort drang dabei aus ihrem Mund. Sie blieb stumm wie ein Fisch.
Ich holte tief Luft. Etwas war mit ihr geschehen, und mich traf dabei ein gewisser Teil an Schuld, davon konnte ich mich auf keinen Fall freisprechen.
Automatisch trat ich zur Seite, als sie ihre rechte Hand auf die Tischplatte stemmte und sich erhob. Jetzt beobachtete ich sie nur noch, wie sie mit seltsam steifen Bewegungen und einem nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht vorging. Die Stirn hatte sie dabei in Falten gelegt. Sie schien über eine Sache nachzudenken, die sie sehr beschäftigte.
Ich ließ sie gehen.
Zwei Schritte benötigte sie, dann hatte sie mich erreicht, machte einen dritten Schritt, passierte mich, blieb für einen Moment stehen und drehte sich ruckartig um.
Sie starrte mich an.
»Tanith«, sagte ich leise.
Ein mich befremdender Ausdruck überschattete ihr Gesicht, als sie die Antwort gab, die mich schockte. »Wer…wer sind Sie, Mister?«
Okay, diese Frage war schon seltsam. Noch schlimmer jedoch war für mich die Stimme.
Sie gehörte überhaupt nicht
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