0249 - Die Stunde der Bestien

Titel: 0249 - Die Stunde der Bestien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Stunde der Bestien (2 of 2)

Vom Netzwerk:

andere Arzt hielt eine Injektionsspritze gegen das Licht und prüfte irgendetwas.
    Der Gestürzte schien ohnmächtig geworden zu sein. Er hatte sich tapfer gehalten. Trotz seiner Schmerzen war kein Laut über seine hart aufeinandergepressten Lippen gekommen.
    Plötzlich fühlte ich, wie mich jemand hinten am Rock zupfte. Ich drehte mich um. Die Zeltplane rechts war ein wenig zurückgeschlagen. Ich erkannte Jack, der mir hastig winkte. Ich sah mich rasch um. Niemand achtete auf mich. Leise huschte ich durch die Lücke und schob die Plane hinter mir wieder zu.
    Düsteres' Halbdunkel umgab uns. Über uns stieg eine auf starken Balken liegende Bretterschicht schräg an. Wir befanden uns unter der ansteigenden Zuschauertribüne. Jack riss ein Streichholz an und hielt mir eine daumendicke, etwa zwei Zoll lange Schraube hin. Etwa in der Mitte hatte sie einen glänzenden Ring. Zwei Gewindewindungen waren nur noch als Andeutung vorhanden.
    »Was ist das für eine Schraube?«, fragte ich.
    »Die Halterung für das Seil. Auf der einen Seite wird es von einem Karabinerhaken gehalten. Auf dieser, wo die Schraube sitzt, wird es gespannt. Wie du siehst, ist das Gewinde überdreht.«
    »Das Seil ist also nicht gerissen?«
    »Kein Spur. Die Schraube hier konnte nicht mehr fest genug halten. Es lief durch die Klammer.«
    Ich sah nachdenklich auf die Schraube.
    »Kann man so was absichtlich herbeirufen?«, murmelte ich.
    Jack zuckte mit den Schultern.
    »Keine Ahnung, Jerry. Es kann Zufall sein, es muss aber nicht…«
    ***
    Die Hauptstadt des Bundesstaates New York ist nicht etwa die gleichnamige Metropole, wie selbst viele Amerikaner glauben, sondern das rund 150 000 Seelen zählende Albany am Hudson River. Albany hegt neunzig Meilen östlich von Utica, und über die New York State Thruway bewegte sich noch in derselben Nacht eine lange Kette von Fahrzeugen. Als Albany gerade aufwachte, waren die Arbeiter bereits mit dem Errichten des Zeltes beschäftigt, während die Artisten nach der Unruhe des Transports endlich ein paar Stunden ungestörten Schlafs fanden.
    Beel, der aus England stammende Seiltänzer, war am vergangenen Abend in Utica in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Auf den besonderen Wunsch seiner Frau hin, hatte man sie mit den zwei Kindern im Wohnwagen zurückgelassen. Begreiflicherweise wollte die Frau in der Nähe ihres schwer verletzten Mannes bleiben.
    Beim Aufbeau eines Zeltes lässt sich ein gewisser Lärm nicht vermeiden. Ich hatte nicht den tiefen, gesunden Schlaf der Artisten, die an solchen Lärm anscheinend gewöhnt waren, und wachte schon gegen sieben Uhr auf, um mich eine halbe Stunde lang im Bett herumzuwälzen. Schließlich wurde es mir zu bunt, ich stand auf, wusch mich und kleidete mich an.
    In der Kantine gab es längst Frühstück, denn die Arbeiter waren schon seit Stunden auf den Beinen. Ich ließ es mir schmecken. Draußen schien bereits die Sonne, und da man kein Wölkchen am Himmel entdecken konnte, versprach es ein schöner Tag zu werden.
    Nach dem Frühstück steckte ich mir eine Zigarette an und schlenderte über den ruhelosen Platz. Mit großen Flaschenzügen zog man gerade das Hauptzelt in die Höhe. Die Nebenzelte lagen noch flach auf der Erde. Wenn man unter ihnen auch schon das Gerippe der Verspannungsmasten liegen sah.
    Eine Weile stand ich in angemessener Entfernung, um dem wie Ameisen durcheinanderlauf enden Trupp der Arbeiter nicht im Wege zu sein. Ralley und Tec-Man White überboten sich gegenseitig an Lautstärke, wenn sie ihre Anweisungen über den Platz brüllten. Sie brauchten alle beide kein Sprachrohr, um sich noch in fünfzig Yard Entfernung verständlich machen zu können. Als das Hauptzelt stand, schlenderte ich weiter. In Gedanken war ich noch immer bei dem rätselhaften Unfall des gestrigen Abends. Wäre es das einzige Ereignis dieser Art in den letzten Wochen gewesen, hätte wahrscheinlich niemand daran gezweifelt, dass es ein Unfall war. Aber nach der Kette furchtbarer Geschehnisse, die sich in letzter Zeit zugetragen hatten, war überall die Überzeugung entstanden, auch die Geschichte mit dem Seil gehe auf das Konto des geheimnisvollen Mörders.
    Sachlich gesehen gab es keinen Beweis für diese Überzeugung. Das Gewinde einer Schraube kann durch Abnutzung überdreht werden. Wenn irgendjemandem ein Vorwurf zu machen war, dann allenfalls dem Artisten selbst, denn alle Artisten waren von Direktor Johnson mehrmals darauf hingewiesen worden, dass sie letzten Endes ihre