025 - Die toten Augen von London
begreifen. In der ganzen Zeit, seit er hier wohnte, habe ich ihn nie so vergnügt gesehen wie an dem Abend, als er ins Theater ging. Sonst war er immer so finster und niedergeschlagen, daß es mich bedrückte, wenn ich ihn sah.« »Er war vergnügt, ungewöhnlich vergnügt, bevor er ins Theater ging? Hat er am Nachmittag irgendeinen Besuch gehabt?«
»Nein, Sir, es ist niemand bei ihm gewesen. Ich habe dem Detektiv, den Sie hierherschickten, schon erzählt, daß Mr. Stuart nie Besuch hatte. Er war an dem Nachmittag wie immer ausgegangen und kam etwas früher als gewöhnlich zurück. Ich hatte eine Reinmachefrau hier, und sie arbeitete gerade in seinem Zimmer. Ich merkte das aber überhaupt erst, als ich an seinem Zimmer vorbeikam und ihn mit jemand sprechen hörte. Das war so ungewöhnlich, daß ich sogar mein Zimmermädchen darauf aufmerksam machte.«
»Wer war nun aber wirklich bei ihm?« fragte Larry.
»Eben, die Reinmachefrau - eine Frau, die ich ab und zu für Extraarbeit nahm. Und aufgefallen ist es mir so besonders, weil er sonst überhaupt mit niemandem sprach.«
»Wie lange war die Frau in seinem Zimmer?«
»Fast eine Stunde.«
»Eine Stunde? Was hatte er eine ganze Stunde lang mit einer Aufwartefrau zu verhandeln?«
»Ich habe keine Ahnung, aber die Sache hat mich noch einige Zeit beschäftigt, weil die Frau weggegangen ist, ohne sich ihren Lohn auszahlen zu lassen. Sie muß direkt von Mr. Stuart aus fortgegangen sein - und sie hat sich nie wieder sehen lassen.«
»Das scheint mir sehr wichtig zu sein«, murmelte Larry. »Haben Sie mit Sergeant Harvey darüber gesprochen?«
»Nein, Sir. Er fragte mich, ob Mr. Stuart Besuch gehabt habe, und darauf antwortete ich ihm wahrheitsgemäß, daß niemand dagewesen war.«
»Wie hieß die Aufwartefrau?«
»Das weiß ich auch nicht. Wir haben sie immer Emma genannt. Es wundert mich eigentlich, daß sie nicht zurückgekommen ist, denn sie hat ihren Trauring hier liegenlassen. Sie zog ihn immer ab, bevor sie zu arbeiten anfing. Ein eigenartiger Ring, halb Gold, halb Platin, ungewöhnlich bei einer Frau ... Mein Gott, halten Sie die junge Dame, Sir!« rief die Wirtin plötzlich.
Larry fuhr herum und fing die ohnmächtig werdende Miss Ward auf. Er legte sie aufs Sofa, doch schon nach kurzer Zeit kam Diana wieder zu sich und wollte sich aufrichten. Larry hielt sie zurück.
»Sie müssen noch einen Augenblick liegenbleiben. Was hatten Sie?«
»Ich bin ein schrecklicher Idiot! Ich glaube, die Luft im Zimmer ist etwas drückend.«
Das Zimmer war wirklich überheizt und schlecht gelüftet. Die Wirtin entschuldigte sich und öffnete das Fenster.
»Ich sage den Mädchen immer, daß sie das Zimmer lüften sollen, und nie tun sie's. Es ist wirklich wie in einem Ofen, entschuldigen Sie!«
Diana erhob sich langsam. Die Tasse Tee, die ihr die Wirtin brachte, war ihr äußerst willkommen.
»Es ist besser, Sie fahren jetzt direkt nach Hause«, schlug Larry vor.
»Ich denke gar nicht daran, nach Hause zu gehen«, widersprach sie heftig. »Ich fahre mit Ihnen zu Todds Heim, Sie haben es mir versprochen. Sobald ich an die frische Luft komme, bin ich wieder völlig munter - ja, fahren wir doch durch den Regents Park, er ist ganz in der Nahe.«
Langsam bekamen ihre Wangen wieder Farbe.
»Ich bin nicht so sicher«, meinte Larry, »ob Todds Heim jetzt das Richtige ist. Es riecht dort nicht sehr gut, und was man zu sehen bekommt, ist auch nicht gerade angenehm.«
»Das macht nichts, bitte, lassen Sie uns heute nachmittag hingehen!«
Sie fuhren nach Piccadilly zurück und aßen etwas. Larry fiel ein, daß er in der Aufregung vergessen hatte, sich den Trauring der Aufwartefrau zeigen zu lassen und noch einige weitere wichtige Fragen zu stellen. Vom Restaurant aus telefonierte er mit Harvey und trug ihm das Versäumte auf, worauf der Sergeant Mrs. Portland durch seinen Besuch in erneute Verzweiflung stürzte.
Am Nachmittag erschien Harvey im Büro 47 und meldete:
»Ich habe Emmas Spur gefunden. Sie wohnt oder vielmehr wohnte in Camden Town bei einem pensionierten Soldaten und seiner Frau.«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Nein, Sir, sie ist seit der Nacht von Stuarts Ermordung nicht mehr nach Hause gekommen.«
»Hat sie ihre Sachen mitgenommen?«
»Nein, nichts, und das ist das Merkwürdige - sie hat mit keinem Wort erwähnt, daß sie fortgehen wollte.«
»Setzen Sie sie sofort auf die Liste, benachrichtigen Sie sämtliche Polizeistationen! Nichts Neues vom blinden
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