025 - Die toten Augen von London
nötig.«
»Sehr angenehm«, sagte Dr. Judd, schien sich aber doch nicht ganz behaglich zu fühlen. »Es freut mich, daß Sie gekommen sind. Ja, und worüber ich bei dieser Gelegenheit gern noch mit Ihnen gesprochen hätte - der Mann, den Sie letztesmal bei mir vorfanden ... Ich muß befürchten, daß Sie einen ganz falschen Eindruck gewonnen haben, und kann es Ihnen nicht einmal verdenken. Haben Sie den Burschen kürzlich wiedergesehen?«
»Nein, seither habe ich ihn nicht mehr zu sehen bekommen und auch nichts von ihm gehört«, log Larry zu Dianas Überraschung.
»Nun gut«, meinte der Doktor, »wir können uns darüber auch ein andermal unterhalten. Stört es Sie, wenn ich rauche, Miss Ward? Ich bin nämlich leidenschaftlicher Zigarettenraucher. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren rauche ich täglich durchschnittlich fünfzig Zigaretten.« Er lachte herzhaft und ansteckend, zündete eine Zigarette an und nahm eine Mappe aus seinem Schreibtisch. »Hier sind die Policen. Sie werden bemerken, daß die Summen an eine Person zu zahlen sind, die später genannt wird. Ich erhielt die diesbezügliche Anweisung an dem Tag, an dem Stuart starb, und ich werde sie Ihnen sofort zeigen. Kürzlich wurden wir aufgefordert, die Versicherungssumme auszuzahlen. Gleichzeitig wurde uns auch der Totenschein Stuarts vorgelegt, respektive eine beglaubigte Kopie davon.«
»Die man für fünf Shilling erhalten kann«, unterbrach Larry.
»Ja, natürlich, und das genügt ja auch vollständig, jedenfalls hatten wir keinen Grund, die Zahlung zu verweigern - sie wurde geleistet.«
»Wie ist ausbezahlt worden? Bar oder Scheck?«
»Auf Wunsch der betreffenden Dame in bar.«
»Der Dame?« fragten Larry und Diana gleichzeitig.
»Sie haben eine sehr interessierte Sekretärin«, kicherte Dr. Judd und rieb sich vergnügt die Hände.
»Aber wer war die Dame?« fragte Larry.
Der Doktor nahm zwei schmale Bogen aus seiner Mappe und legte den einen vor den Inspektor.
»Hier die Empfangsbestätigung - wie Sie sehen, lautet sie auf einhunderttausend Pfund.«
Larry überflog die Quittung. Die Unterschrift lautete: Clarissa Stuart.
Er traute seinen Augen nicht und hielt die Quittung Diana hin, die aber schon über seine Schulter weg mitgelesen hatte.
»Clarissa Stuart?« fragte er ungläubig. »Kennen Sie die Dame?«
»Ich habe nie vorher von ihr gehört«, erwiderte der Doktor eifrig. »Doch sie war bevollmächtigt, die Versicherungssumme in Empfang zu nehmen.«
»Wie sieht sie aus?«
Dr. Judd steckte sich an der zu Ende gehenden Zigarette eine neue an, bevor er antwortete:
»Jung, hübsch, elegant angezogen.«
»Machte sie einen niedergeschlagenen Eindruck?«
»Durchaus nicht, sie war im Gegenteil sehr vergnügt.«
Diana Ward und Larry Holt warfen sich einen Blick zu.
»Hat die junge Dame eine Adresse hinterlassen?«
»Nein. Das war auch nicht nötig. Ich gab ihr einen Barscheck, aber sie sagte, sie wollte keinen Scheck haben. Ich schickte daher jemand zur Bank und ließ das Geld holen.«
»Es war also alles Bargeld?« »Die ganze Summe ist in bar ausgehändigt worden.«
»Und Sie haben sie nie vorher gesehen?« fragte Larry noch einmal.
»Nein. Aber sie war Stuarts Tochter, jedenfalls hatte ich keine Veranlassung, daran zu zweifeln.«
Sie waren schon wieder auf der Straße bei ihrem Wagen, als Larry hervorstieß: , »Es ist unglaublich!« Dem Chauffeur befahl er: »Nottingham Place 304.«
»Wohin fahren wir jetzt?« fragte Diana.
»Zu Stuarts Pension. Vielleicht hat Harvey, als er dort recherchierte, doch etwas übersehen. Wenn Stuart erst am Tag seines Todes auf seine zweite Tochter gestoßen ist, muß er doch irgendeinen Besuch gehabt haben.«
»Glauben Sie, daß das Mädchen, ich meine Clarissa, bei ihm war?«
»Das ist möglich. Wir müssen versuchen, es herauszufinden.«
Nottingham Place 304 war ein großes, vornehm aussehendes Gebäude. Larry und seine Begleiterin wurden in einen eleganten Salon geführt. Wenige Augenblicke später erschien eine kleine, alte Dame mit weißem Haar.
»Mrs. Portland, nicht wahr? Mein Name ist Holt. Inspektor Holt von Scotland Yard.«
Ihr Gesicht drückte peinliche Bestürzung aus.
»Du meine Güte, schon wieder! Ich hatte gehofft, die Polizei wäre nun endlich fertig bei mir. Mein Haus kommt durch solche Besuche in schlechten Ruf, und ich habe schon Unannehmlichkeiten genug gehabt. Der arme Herr hat Selbstmord begangen, nicht wahr? Warum er das nur getan hat? Ich kann es nicht
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