0252 - Die Tochter des Totengräbers
meinen Augen verschwunden!
***
Es gibt Dinge, da fehlen einem einfach die Worte, um sie zu erklären. So etwas erlebte auch Jason Price, dem Totengräber. Und er war weiß Gott einiges gewohnt in seinem makabren Job, doch mit lebenden Leichen hatte er noch nie etwas zu tun gehabt.
Und so eine Leiche existierte.
Sie hatte es in der feuchten, kühlen Graberde nicht mehr ausgehalten, war von einem jungen Mädchen gerufen worden und wühlte sich aus dem Boden.
Das ausgelaufene Petroleum brannte weiter. Es gab der Horror-Szene eine schaurige Untermalung, so daß Jason Price und seine Tochter deutlich erkennen konnten, wie sich die Knochenhand aus dem Grab schob, von dem flackernden Feuerschein berührt wurde und einen rötlichen Farbton annahm.
Das Mädchen hauchte die Worte: »Er ist da!« während es einen Schritt vorging, den Kopf senkte, um alles genau zu beobachten. Ihr geliebter Richter wollte zu ihr.
»Marion!« Scharf klang der Ruf ihres Vaters, auf den sie nicht hörte. Er war vergessen. Für Marion zählte nur das, wonach sie sich so lange gesehnt hatte.
Sie blieb neben der linken Grabseite stehen. Auf der anderen brannte das ausgelaufene Petroleum. Es schuf zuckende Flammen, deren Widerschein über das angespannte Gesicht des Mädchens tanzte und es mit einem fremden, geisterhaften Leben versah. Die blonden Haare wirkten wie mit Blut übergossen, und als die Hand sich drehte, wobei sie Marion die Innenfläche zuwandte, da verstand sie das Zeichen, streckte ihren Arm aus und faßte die Hand an.
Jetzt gab es eine Verbindung zwischen Marion und dem untoten Richter.
Das Gesicht Marions klärte sich auf. Ihre Augen wurden größer.
Sie hatte nun erreicht, was sie wollte, und es machte ihr überhaupt nichts aus, die kalte Totenklaue zu berühren. Im Gegenteil, sie drückte ihre warmen Finger noch fester darum als Beweis dafür, daß sie die Hand nie mehr loslassen wollte.
Jason Price stand wie festgewachsen da. Er atmete heftig. Seine Augen hatten sich vergrößert, in den Pupillen zuckte der Widerschein des tanzenden Feuers, und seine Haut schien zu Wachs zu verlaufen.
Für ihn war es unbegreiflich. Er fand einfach keine Erklärung, und er fragte sich, welch eine Verbindung es zwischen seiner Tochter und diesem Toten gab.
Marion lehnte sich ein wenig zurück. Sie stemmte die Füße am Grabrand ein, so daß sie besser ziehen konnte. Sie half mit, den Untoten aus dem Grab zu zerren.
Nicht nur die Hand war zu sehen, der Arm folgte, die Schulter und auch der Kopf.
Die Häßlichkeit des Schädels übertraf bei weitem die Einfälle der Horrorfilm-Regisseure.
Das Gesicht bestand nur noch aus bleichen Knochen. Am Hinterteil des Schädels aber klebten lange, strähnige Haare, in denen sich die feuchten Erdklumpen festgesetzt hatten. Die Lippen fehlten völlig. Die Augenhöhlen waren dafür nicht leer. Darin lagen bläuliche, gallertartige Stücke, durchzogen mit roten Äderchen, die in ihrer Farbe an frisches Blut erinnerten.
Sein Totenhemd bestand aus Fetzen. Es hatte längst seine eigentlich weiße Farbe verloren und die braune der Erde angenommen.
Die einzelnen Fetzen klebten an den Knochen. Manche hingen auch wie zerrissene Fahnen herab und wurden, als der lebende Tote endgültig aus dem Grab kletterte, vom Wind bewegt.
Der Totengräber empfand in der Tat einen kaum zu beschreibenden Horror. Die Angst stieg hoch in ihm. Sie drohte sein Herz so zusammenzupressen, daß es aufhörte zu schlagen, und über seinen Rücken rann eine Gänsehaut. Er wußte auch nicht, was er seiner Tochter sagen sollte. Für ihn war sie in den letzten zwei Minuten zu einer Fremden geworden.
Marion ließ die Hand des lebenden Toten nicht los. Sie konnte es kaum erwarten, den Zombie aus dem Grab zu ziehen und ihn in ihre Arme zu schließen.
»Ja, Sir Edward Jeffries, komm nur her. Ich habe alles gelesen, was du hinterlassen hast – alles…« Sie kicherte und strich mit der linken Hand über das klebrige Haar. »Und ich habe es behalten. Alles, was du niedergeschrieben hast, ist bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen. Ich mußte viel vorbereiten, ich habe es geschafft…«
»Marion, was redest du da?« Ihr Vater stöhnte, aber seine Tochter hörte nicht auf ihn. Sie sah auch nicht, wie er sich quälte. Ihre Blicke galten der lebenden Leiche.
Marion wechselte ihren Griff. »Ja, komm schon!« hauchte sie und schob beide Hände unter die knochigen Schultern, damit sie den Untoten fest packen konnte.
Mit einem letzten Ruck
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