0253 - Judys Spinnenfluch
sehr schwer, sie brach in die Knie und fiel zu Boden.
Keine Ketten hielten sie mehr, aber sie stellte fest, daß sie sich noch immer in der Nähe des Baumes befand, an dessen Stamm man sie angekettet hatte.
Auf dem Boden blieb Judy liegen. Sie schluchzte und schluckte zur selben Zeit. Sie dachte an ihren Vater, an die sechs Männer, die gekommen waren, um ihn zu töten, und ihr war klar, daß sie nicht hier draußen liegen bleiben konnte. Sie mußte ins Haus, auch wenn sie nichts sah, das war egal.
Ein wenig bewegte sie sich nach vorn und stemmte ihre ausgebreiteten Hände in den feuchten Rasen. Die Beine zog sie an und blieb in dieser Haltung für einen Moment sitzen. Sie traute sich kaum, dorthin zu fassen, wo einmal ihre Augen gewesen waren, doch sie mußte Klarheit bekommen, hob die Hand und tastete über das Gesicht, wobei sie sich schnell den Augen näherte.
Blut…
Auf einmal spürte sie den dünnen Faden, der da über ihre Wange lief. Es war Blut, und es rann aus den Augenhöhlen, wo sie die beiden Nägel getroffen hatten.
Judy stöhnte. In einem heftigen Impuls schlug sie die Hände vor ihr Gesicht, schüttelte sich und blieb in dieser Haltung erst einmal für Minuten sitzen.
Etwas fiel ihr auf.
Sie hörte zwar keine menschlichen Stimmen, dafür die der Natur.
Und sie vernahm diese Stimmen deutlicher als sonst, als wären ihre anderen Sinne geschärft worden.
Ja, so mußte es gewesen sein. Mit dem Verlust der Sehkraft waren die anderen Sinne stärker hervorgetreten, so daß sie jetzt besser hören, und auch fühlen konnte. Wenn sie etwas ertasten wollte, bewegten sich ihre Finger schon automatisch schneller, und sie gelangte auch rasch zu einem Erfolg.
So schlimm sah ihre Lage also nicht mehr aus…
Judy stand auf.
Sechs Männer waren es gewesen. Einer hatte ihr das Augenlicht geraubt. Aber alle waren schuldig, denn niemand hatte den Täter zurückgehalten.
Das wußte Judy. Dementsprechend würde sie reagieren. Sie sollten sich wundern, auch ein blindes Mädchen war noch nicht tot.
Zwar geschwächt, aber nicht ausgeschaltet.
Sie wollte und sie würde es ihnen schon beweisen. Daran gab es nichts zu rütteln.
Es geschah fast mit normalen Bewegungen, als sie aufstand.
Plötzlich hatte sie wieder Halt gefunden, blieb breitbeinig stehen und schaute nach vorn.
Nichts konnte sie sehen.
Um sie herum war die schwarze Wand. Eingehüllt in die Schatten, die nie mehr weichen würden, aber in ihrem Herzen brannte die Flamme der Rache und des Hasses.
Judy tat den ersten Schritt.
Dabei schluchzte sie auf. Nicht weil sie ihn nicht schaffte, nein, sie kam sich vor wie ein kleines Kind, das plötzlich das Laufen lernte, und sie zuckte zusammen, als plötzlich etwas an ihrem Gesicht vorbeihuschte. Judy glaubte, einen Flügelschlag gehört zu haben, es war ein Vogel gewesen.
Sie streckte die Arme aus. Was sie nicht sehen konnte, mußte sie ertasten. Zum Glück hatte sie lange genug in diesem Haus gewohnt, um auch seine nähere Umgebung zu kennen, deshalb konnte sie sich ungefähr ausrechnen, wann die ersten Hindernisse erschienen.
Es gab nur einen Baum zwischen ihrem Platz und dem Haus. Als weitere Hindernisse wuchsen dort noch Büsche auf dem Rasen, aber die würden sie nicht stören.
Acht Schritte ging sie.
Acht kleine Schritte, als sie mit der Fußspitze gegen ein Hindernis stieß.
Ertastet hatte sie es mit den vorgestreckten Armen nicht, es befand sich am Boden.
Judy blieb stehen und dachte einen Augenblick nach. Bis sie die Lösung wußte.
Das war die Treppe. Und sie war mit der Fußspitze gegen die unterste Stufe gestoßen.
Also fast am Ziel…
Sie holte tief Luft, zog die Arme ein und wischte über ihr Gesicht.
Die Hände wurden klebrig. Es war das Blut, das sich auf ihrer Haut verteilt hatte.
Bevor sie die weiteren Stufen in Angriff nahm, blieb sie stehen und lauschte. Sie strengte ihre Sinne sehr an, vielleicht ertönten aus dem Haus Geräusche, die verrieten, was dort drinnen ablief, aber sie hörte nichts.
Das Schweigen stand vor ihr wie die sie umgebende ewige Dunkelheit.
Ein Schauer rann über ihren Rücken. Judy mußte sich einen Ruck geben, setzte ihren Fuß dann auf die erste Stufe, nahm auch die zweite undließ die Treppe in einer Gleichmäßigkeit hinter sich, als würde sie normal sehen.
Den Schock, den kalten brutalen Horror hatte sie hinter sich gelassen, jetzt reagierte sie ihren Verhältnissen entsprechend normal und ging bereits auf die Tür zu.
Als die Spitzen ihrer
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