0253 - Judys Spinnenfluch
sein, denn bei den anderen hatte sie ähnliche Werkzeuge nicht gefunden.
Als sie sich aufrichtete, dachte sie an ihren Vater. Dabei fragte sie sich, weshalb sie gerade ihn mit diesem gefundenen Hammer in Verbindung brachte.
Judy verlieft das Zimmer. Diesmal zitterten ihre Beine, und sie war sich darüber im klaren, daß ihr bestimmt noch eine schreckliche Entdeckung bevorstand.
Auf dem Gang wußte sie, daß sie nicht mehr weit zu laufen brauchte. Ihr Vater befand sich ganz in der Nähe. Sie spürte bereits seine Aura. Es war wie eine Strahlung, von der sie getroffen wurde, sie mußte sie nur noch lokalisieren.
»Dad?« Obwohl sie wußte, daß ihr Vater keine Antwort geben konnte, rief sie den Namen.
Er verhallte ungehört.
Starr blieb sie stehen. Sie ballte ihre Hände, spannte den Rücken, der Kopf fiel nach hinten, das Gesicht verzerrte sich, und sie rief den Namen so laut, daß er durch das Haus schallte.
»Daaaddd!«
Das Echo schwang ihr entgegen, mehr nicht. Ein paar Schritte torkelte sie vor, fiel gegen die Wand und flüsterte sinnlose Worte. Der Vater war tot, aber wo hatten die verfluchten Bestien ihn hingeschafft? War wirklich alles umsonst gewesen? Hatte der Spinnentrank, den ihr Vater braute, nichts geholfen?
Schluchzend löste sie sich von der Wand. Alle Zimmer hatte sie abgesucht, sechs Leichen gefunden, nur die ihres Vaters fehlte.
Wo konnte man ihn hingeschafft haben?
Judy sah nur eine Möglichkeit. Er mußte es irgendwie geschafft haben, in den Keller zu gelangen.
Das jedoch erwies sich als Irrtum, denn einen Augenblick später hatte sie fast das Ende des Ganges erreicht, streckte ihren Arm aus und glaubte, die Mauer zu berühren.
Hastig zuckte sie zurück, als dies nicht der Fall war. Die ausgestreckten Finger trafen nicht auf tapeziertes Mauerwerk, sondern berührten das Fleisch am Hals eines Menschen.
Judy schüttelte sich.
Es gab nur eine Erklärung für diese Berührung. Sie hatte ihren Vater gefunden.
Aber wieso hatte sie seinen Hals gefühlt, während sie normal stand? Da mußte etwas nicht in Ordnung sein. Judy ließ ihre Hand in Halshöhe. Sie zögerte, als hätte sie Angst, die gesamte Wahrheit zu erfahren, und über ihren Körper rann ein Schauder.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und hob den Arm an. Nicht den Hals berührte sie jetzt, sondern auch das Kinn des Mannes, im nächsten Augenblick die Wangen. Und die Fingerspitzen ertasteten die langen, noch offenen Wunden.
Man hatte ihren Vater geschlagen.
Judy dachte an die Ketten, die von den sechs Männern mitgebracht worden waren. Zum Spaß hatten sie die schweren Dinger nicht mitgenommen. Judy wurde klar, daß ihr Vater auf eine schreckliche Art und Weise umgekommen war. Vor seinem Tode mußte man ihn gefoltert haben.
Und nun?
Sie weinte leise, als sie auch den anderen Arm ausstreckte und den Körper abtastete.
Allmählich, als der ersten Schrecken nachgelassen hatte, wurde ihr klar, was geschehen war. Nun erkannte sie den Grund, weshalb ihr Vater nicht am Boden lag, sondern stand.
Er konnte nicht mehr fallen, denn man hatte ihn nicht nur getötet, sondern auch an die Wand genagelt!
Wie ein Orkan brach das Grauen über das blinde Mädchen herein. Sehen konnte Judy nichts, nur fühlen, das allerdings hatte ihr gereicht. Was waren das nur für Bestien gewesen, die sich zu sechst auf einen wehrlosen Mann stürzten und ihn auf diese schreckliche Art und Weise töteten? Sie konnte es nicht fassen, drehte sich zur Seite weg und schüttelte den Kopf.
Plötzlich kam es über sie. Die letzten Entdeckungen waren nicht mehr zu verkraften gewesen. Judy stützte sich zwar noch an der Wand ab, dennoch schaffte sie es nicht mehr, auf den Beinen zu bleiben, sackte in die Knie und fiel zu Boden.
Ihr Körper schlug schwer auf. Weinkrämpfe schüttelten ihn. Judy zog die Beine an ihren Körper und blieb in dieser gekrümmten Haltung liegen.
Wieviel Zeit verging, wußte sie nicht. Irgendwann im Morgengrauen schlief das blinde Mädchen inmitten der Toten ein.
Und sie hatte einen Traum!
Aus schier unendlichen Fernen hörte sie die Stimme ihres Vaters.
Sie klang klar und deutlich, als würde er neben ihr stehen, sie in den Arm nehmen und versuchen, sie zu trösten.
›Kleine Judy. Ich weiß, was du alles durchgemacht hast, und ich weiß ferner, daß du mich nun gefunden hast. Nimm es als eine unabänderliche Tatsache hin. Mich hat man getötet, man wollte mich ja umbringen, weil ich nicht zu ihnen paßte und ich sie störte.
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