0253 - Judys Spinnenfluch
Vorsicht!«
Suko warnte mich, und ich hatte das Hindernis im selben Augenblick entdeckt.
Vor uns und genau auf der Mitte des Weges stand eine Gestalt.
Sie rührte sich nicht vom Fleck, wirkte innerhalb des Schneegestöbers wie eine unheimliche Figur, und ich trat auf die Bremse, damit ich den Bentley rechtzeitig genug zum Stehen bekam.
Die Gestalt wankte etwas. Für mich ein Zeichen, daß wir sie eventuell berührt hatten, obwohl im Wagen davon nichts zu merken war.
Ich aber hatte sie erkannt.
Judy stand vor uns.
Die Blinde mit den Spinnenaugen!
»Das ist sie!« zischte ich Suko zu, löste den Gurt und rammte den Wagenschlag auf, um schnell aus dem Bentley zu tauchen.
Fast wäre ich noch gefallen und hielt mich am Türholm fest, als ich mit dem rechten Fuß ausrutschte.
Judy stand da und starrte uns an.
Ich näherte mich ihr mit langsamen Schritten. Auf meinen Lippen lag ein Lächeln. Keinesfalls wollte ich sie erschrecken, und ich wollte auch nicht, daß sie so klammheimlich verschwand wie im Krankenhaus. Ich kam von der rechten, Suko von der linken Seite, jeweils von uns aus gesehen.
»Hallo Judy«, sprach ich sie an und verhielt meinen Schritt, wobei auch Suko stoppte.
Sie drehte mir den Kopf zu.
Ihr Gesicht war blaß. Auf der Haut tauten die Schneeflocken schnell. Als Wasserbahnen rannen sie nach unten und versickerten in der nassen Kleidung des Mädchens.
Ich blieb so dicht vor ihr stehen, daß ich auch ihre Augen sehen konnte.
Ja, da waren die Spinnen wieder zu erkennen. Durch ein Handzeichen machte ich meinen Freund aufmerksam, der schaute ebenfalls genauer hin und nickte. Er hatte verstanden.
»Kennst du mich nicht mehr, Judy?« erkundigte ich mich mit freundlicher Stimme.
»Fahrt nicht weiter!« flüsterte sie. »Fahrt nicht weiter.« Sie verzog das Gesicht, als hätte sie etwas Grauenvolles gesehen. »Bitte, ihr müßt umkehren.«
Das wollten wir nicht, und ich erkundigte mich nach dem Grund ihrer Warnung.
»Sind es die Spinnen?«
»Ja.«
»Wo stecken Sie?«
Da zuckte ihr Gesicht, und ich hatte das Gefühl, als wollte sie anfangen zu weinen, doch sie hielt sich tapfer und schüttelte nur den Kopf. Eine Antwort wollte sie nicht geben, und zwingen konnte ich sie nicht.
»Und die Menschen? Befinden sie sich im Haus? Sie sind hingefahren, nicht wahr?« Ich starrte sie an und merkte nicht, daß mich die Schneeflocken allmählich wie ein weißer Mantel bedeckten.
»Sie werden tot sein«, sprach Judy, »tot… alles ist schrecklich. Die Riesenspinnen warten. Die Rache ist vollendet. Ich aber habe überlebt, nur ich – oder bin ich tot?«
Es waren ihre letzten Worte, denn sie drehte sich plötzlich um und ging einfach davon.
Nach drei Schritten schon war sie nicht mehr zu sehen. Der Schnee hatte ihre zarte Gestalt geschluckt.
Suko stieß mich an. »Verdammt, John, willst du nicht hinterher?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
»Wir werden sie bestimmt im Haus wiedersehen, und ich möchte sie auf keinen Fall beeinflussen. Alles soll seinen normalen Gang laufen. Nur so haben wir eine Chance, herauszubekommen, was wirklich mit den Spinnen los ist.«
»Mich begeistert dein Vorschlag nicht«, gab Suko ehrlich zu.
Ich hob die Schultern, drehte mich um und zog den Wagenschlag auf. Bevor ich einstieg, klopfte ich noch meine gefütterte Jacke aus.
Trotzdem blieb ein großer Teil des Schnees kleben, als ich in den Wagen stieg und auch Suko neben mir seinen Platz fand.
Auf der Frontscheibe klebte der Schnee. Die Wischer schafften ihn mit ein paar Bewegungen fort, und ich startete. Vorsichtig gab ich Gas. Zum Glück fuhren wir mit Winterreifen. Sie griffen gut bei diesem Bodenbelag, und der Bentley setzte sich langsam in Bewegung. »Im Haus treffen wir sie wieder«, sagte ich leise.
»Du reagierst bei diesem Mädchen irgendwie anders als sonst«, meinte Suko.
»Möglich.«
»Wie kommt das?«
Ich fuhr behutsam in eine Kurve. »Vielleicht tut mir die Kleine leid, Alter.«
»Das könnte sein.«
In den nächsten Minuten schwiegen wir, und ich konzentrierte mich auf die Fahrt. Zudem hatten wir Glück, denn das dichte Schneetreiben ließ mal wieder nach. Die Flocken wurden dünner, schließlich waren sie kaum noch zu sehen, und unser Blick fiel bereits auf das Haus.
Schneebedeckt präsentierte sich das Dach. Die weiße Pracht lag auch auf den Wiesen, die das Haus umgaben, hing wie Leim an den Bäumen, und nur dort, wo sich der Sumpf befand, da war sie nicht liegengeblieben.
»Das ist ja ein
Weitere Kostenlose Bücher