0254 - Treffpunkt Leichenhaus
danach gerichtet und geforscht. Zwar fanden wir nicht das Orakel, aber wir entdeckten Ambiastro, den Vampir-Drilling, wie man heute sagen würde. Im alten Atlantis ernährten sie sich ebenfalls vom Blut anderer. Sie brauchten es ja, um zu überleben, denn sie forschten nach einer Waffe, die den geheimnisvollen Todesnebel stoppte.«
»Die Waffe ist nicht gefunden worden?« hakte ich nach.
»Ich weiß es nicht. Sie haben nie darüber gesprochen, denn wir fanden sie in steinernen Särgen auf dieser Insel. Wir öffneten die Särge, fanden die Vampire schlafend, kannten die alten Texte und wußten, daß wir vor einer großen Entdeckung standen, die in den Kreislauf von Magie und Nichtmagie eingreifen konnte. Wir haben sie mitgenommen, denn wir wollten ihr Wissen übermittelt bekommen, daß sie schon in Atlantis weitergegeben hatten.«
»Haben Sie es geschafft?«
Die alte Azucena schaute erst Myxin, dann mich an und schüttelte den Kopf. »Noch nicht, denn sie sind zu schwach. Ihr wißt vielleicht, nein, ihr wißt es bestimmt, was es bedeutet, ein Vampir zu sein. Er benötigt Blut, um überleben zu können, und dieses Blut müssen wir ihm geben, auch wenn es das von Menschen ist.«
Es waren Worte, die ich zwar verstanden hatte, jedoch nicht unterstreichen konnte. »Nein«, sagte ich entschieden.
»Die Entmystifizierung des Würfels liegt mir zwar sehr am Herzen, aber nicht für diesen Preis. Es dürfen keine Menschen zu Vampiren gemacht werden, nur um an das Geheimnis des Todesnebels zu gelangen.«
»Eine andere Chance gibt es nicht!« hielt mir Azucena entgegen.
»Dann müssen wir eben darauf verzichten. Man kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben.«
»Der Todesnebel kostet mehr Opfer als Ambiastro.« Die Alte ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. »Wir haben sie erweckt, wir wollen auch die Früchte ernten.«
»Wobei einer schon nicht mehr existiert«, erklärte Myxin.
Bisher hatte die Alte still dagesessen. Sie sprang zwar nicht auf, aber sie hob ihren Oberkörper an, die Augen begannen zu blitzen, der Mund öffnete sich, und ein Wort nur drang über ihre Lippen: »Ihr?«
Myxin schüttelte den Kopf. »Nicht wir, Azucena. Andere haben sich darum gekümmert, das mußt du dir merken. Wir sind nicht eure eigentlichen Feinde. Es gibt jemand, der weiß Bescheid, daß Ambiastro existiert, und durch sein Wissen auch das Geheimnis des Würfels gelöst werden kann. Und dieser andere, der sich im Besitz des Würfels befindet, wird alles daransetzen, um Ambiastro zu vernichten. Das ist ihm bei einem der Vampir-Drillinge bereits gelungen. Zwei andere leben noch, aber man wird Jagd auf sie machen, und ich weiß nicht, ob ihr in der Lage seid, das Erbe zu schützen.«
Azucena drehte den Kopf. Sie schaute Tassilo an, der an der Tür stehengeblieben war. »Sind die beiden noch da?«
»Ja.«
»Wo habt ihr sie versteckt?« fragte Myxin.
Azucena lächelte. »Einer befindet sich ganz in der Nähe. Ein anderer an einem sicheren Platz.«
»Kann ich den wissen?«
Die alte Azucena schaute nicht mich an, sondern blickte auf die Tischplatte. »Ich weiß nicht, ob ich euch so weit vertrauen kann, daß ich…«
»Es ist besser, wenn du redest!« drängte auch Myxin.
»Nun ja, ich kenne unsere Feinde. Ich weiß auch, wer den Würfel besitzt, und ich will euch sagen, wo sich Ambiastro befindet. Einer ist hier im Wagen.« Sie deutete in den Hintergrund, wo wir bereits bei unserem Eintritt den kastenartigen Gegenstand neben dem Ofen mit der glühenden Platte erkannt hatten. »Der andere noch lebende Ambiastro befindet sich in einem Leichenhaus.«
»Was?«
»Ja. Es ist ein guter Ort. Dort arbeitet ein gewisser Charly Water, ein Trunkenbold, dessen erste Frau mit einem aus unserer Sippe durchgebrannt ist. Die Frau hat sich an ihn und seine Arbeit erinnert. Und sie schlug vor, Ambiastro dort zu verstecken. Das haben wir getan. Bis jetzt lief alles gut. Daß der dritte gefunden und getötet worden ist, wußte ich nicht. Aber er wollte allein weiter und ließ sich nicht davon abbringen. Wir konnten ihn nicht halten, denn gerade wir wissen, wie es ist, wenn das Blut nach Freiheit schreit.«
»Kann ich den letzten sehen?« fragte Myxin.
»Ja, Magier, du kannst es. Und du wirst mir bestätigen, daß auch er die langen Jahre überdauert hat. Bestimmt kannst du dich noch an ihn erinnern.«
»In der Tat.«
»Es muß diese Insel im Meer neu entstanden sein. Wahrscheinlich durch ein unterseeisches Beben«, sagte ich.
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