0254 - Treffpunkt Leichenhaus
zwei Schritte in entgegengesetzter Richtung.
Eine ungefähr gleiche Distanz.
Noch einmal riß sich Charly Water zusammen, als er gellend schrie:
»Nimm den Schlüssel, Kind! Nimm ihhhhn…!« Dann kippte er und blieb auf dem Bauch liegen, weil er nicht mehr konnte. Die letzten Anstrengungen waren über seine Kräfte gegangen.
Susan Water allerdings hatte die Worte ihres Vaters genau verstanden. Wenn sie sich nicht beeilte, war alles verloren.
Und sie sprang.
Die letzten drei Stufen wollte sie mit einem Satz nehmen, aber auch der Vampir sah dies.
Er kam ebenfalls.
Susan hatte den Boden noch nicht berührt, als sie schrie, denn Ambiastro tauchte übergroß vor ihr auf. Sein grünbleich schimmerndes Gesicht war nur noch eine verzerrte Maske, mit der linken Hand hatte er zu einem Rundschlag ausgeholt, um das Mädchen zur Seite zu schleudern.
Er traf auch.
Allerdings hatte Susan instinktiv das Richtige getan und ihre Arme hochgerissen. So konnte sie dem Hieb die größte Wucht nehmen. Er traf nicht ihr Gesicht, sondern den Körper und die Arme. Der Vampir hielt sie auch nicht fest, er schleuderte Susan nur zur Seite, so daß sie gegen die Mauerkante an der Treppe prallte und ihre Beine wegrutschten.
Ambiastro hätte jetzt nachsetzen müssen, doch er wollte zuerst den Schlüssel.
Ihn an sich zu nehmen, kostete Zeit. Trotz ihrer Panik bekam Susan dies mit, und sie tat etwas, worüber sie nicht einmal nachdachte.
Susan schnellte auf die Füße, drehte sich, und es gelang ihr, an den zugreifenden Händen des Blutsaugers vorbei, auf die Treppe zu flüchten, deren Stufen sie mit gewaltigen Schritten nahm.
Susan flüchtete in die obere Etage des Leichenhauses. Dort fühlte sie sich wohler, auch wenn sie eingeschlossen war, aber sie konnte vielleicht ans Fenster und um Hilfe schreien.
Eine breite Treppe ohne Geländer lag vor ihr. Susan hielt sich an der linken Seite, wo auch die Mauer in einem gekrümmten Bogen hochwuchs.
Wahnsinn! schrie es in ihr. Verdammter Wahnsinn! Du träumst, du liegst zu Hause in deinem alten Metallbett, siehst die miese Lampe an der Decke, hörst das Schütteln der Fensterläden, wenn der Sturm dagegenweht, und das rauhe Lachen der Betrunkenen aus der nahen Kneipe.
Jetzt wachst du auf, und…
Da spürte sie die Hand an ihrem Rücken. Eine kurze Berührung nur, den Bruchteil einer Sekunde, für das Mädchen jedoch so lange wie eine Ewigkeit.
Susan schrie.
Dieser Schrei löschte ihren Traum, trieb sie brutal zurück in die Wirklichkeit, sie schleuderte ihren Körper vor, nahm drei Stufen auf einmal und drehte in der Luft schwebend ihren Kopf, wobei sie hinter und ein wenig unter sich die verzerrte Fratze des Vampirs entdeckte.
Er würde sie nicht entkommen lassen. Ihr Blut sollte ihm gehören, nur ihm.
Sie bebte und zitterte. Die heiße Angst schüttelte sie. Jagte Wellen durch ihren Körper, die Drüsen hatten sich geöffnet, sie sonderten Schweiß ab, der sich auf ihre Haut wie ein Film legte.
Das Ende der Treppe.
Es kam ihr vor wie die letzte Hoffnung eines aus dem Fegefeuer in den Himmel Entlassenen.
Noch ein Sprung, der Tritt auf die Kante, der Moment des Kippens, dann war die Kraft der Verzweiflung da, und sie wuchtete Susan Water wieder nach vorn.
Das Mädchen taumelte in den Gang. Sie mußte nach rechts, denn er mündete in den Raum, wo die Leichen gewaschen wurden.
Dort saß sie in der Falle!
Das wußte sie, und doch konnte sie nicht anders. Susan kannte das Leichenhaus. Es gab noch andere Räume, kleinere, Verstecke, Nischen, überall war sie eine Gefangene.
Und sie hörte den Schrei.
Ihr Vater hatte ihn ausgestoßen. Er hallte schaurig durch das Leichenhaus, wurde als Echo noch verstärkt und war fast zu einer Sinfonie des Schreckens geworden.
Als er verklang, da vernahm sie das pfeifende Geräusch. Es hörte sich grausam an, und sie schüttelte sich, denn nur der Vampir konnte es ausgestoßen haben.
Kein Atmen, das stand fest, denn Vampire atmen nicht, aber das Pfeifen drang ihr unter die Haut, es war wie ein Messer, dessen Klinge hart in die Nervenbahnen schnitt.
Das Mädchen taumelte weiter. Es stieß mit der Hüfte gegen die Tischkante. Diese Berührung ließ Susan hochzucken, und sie schaute automatisch auf den Tisch, wo die blasse Leiche des alten Mannes lag, der mit gläsern wirkenden Augen gegen die graue Decke stierte.
Obwohl sich in seinem Körper kein Leben mehr befand, zuckte er.
Allerdings war er nicht von den Toten erweckt worden. Susan Water
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