0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang
eine Miene aufgesetzt hatte, die man ohne Veränderung als Kinderschreck hätte benutzen können.
»Na, wie war das Geschäft heute?« fragte er mit einem Unterton, der nichts Gutes verhieß.
»Vielen Dank für die freundliche Nachfrage«, sagte ich. »Dem Präsidenten konnte ich ein Paar Einlegesohlen verkaufen und Jane Mansfield hat das Buch ›Wie werde ich eine Sexbombe?‹ bei mir bestellt. Sonst noch was?«
»Werden Sie nur nicht frech! Das wird Ihnen noch vergehen, verdammter Hai! Sie gehen jetzt vor mir her, aber hübsch langsam. Bis zum nächsten Radiocar. Sie sind dringend verdächtig, mit Marihuana zu handeln. Wir werden Sie im Revier durchsuchen. Also, los!«
Der Ordnungshüter machte Anstalten, mir in die Rippen zu stoßen. Ich entging der freundlichen Aufforderung gerade noch durch einen schnellen Sidestep. Aber mein Geduldsfaden hatte jetzt eine brüchige Stelle.
»Sie haben ›verdammter Hai‹ zu mir gesagt, Sir«, sagte ich mit gefährlicher Ruhe. »Sie glauben, so mit mir umspringen zu können, Sir. Nur weil ich zufällig eine Zigarette hinter dem Ohr stecken habe und Sie mich für eine Rauschgifthändler halten. Sie benehmen sich mir gegenüber in einer Weise, die allen Rechten eines freien amerikanischen Bürgers Hohn spricht. Noch ein falsches Wort, und Sie haben ein Disziplinarverfahren am Hals, an dem Sie noch jahrelang knabbern.«
Mit den letzten Worten hatte ich meinen FBI-Ausweis hervorgeholt, den ich dem unfreundlichen Cop jetzt unter die Nase streckte.
Die Wirkung war verblüffend. Es dauerte einige Sekunden, bis der Uniformierte den Mund wieder zuklappte.
»Sir - ich dachte… Wenn nämlich die Haie… Die Zigarette hinter Ihrem Ohr… Deswegen glaubte ich…«
Den Rest des Satzes hörte ich nicht mehr. Ich ging zu Phil, der grinsend einige Schritte entfernt stehengeblieben war. Ich ließ mir von ihm Feuer für die Zigarette geben, die jetzt endlich ihren Zweck erfüllte.
»Das passiert mir nicht wieder«, sagte ich. »Es ist ja eine Strafe, mit einer Zigarette hinter dem Ohr über den Times Square zu gehen.«
»Und ob«, sagte Phil lachend. »Ist aber eigene Schuld. Schließlich hat man dein Ohr nicht als Zigarettenhalter vorgesehen.«
Wir bogen noch zweimal um eine Ecke, dann standen wir vor einem mehrstöckigen Haus, dessen Fassade in letzter Zeit verputzt worden war.
»Dieses Haus ist es«, sagte Phil. »3. Etage. Di6 Wohnungstür liegt direkt gegenüber dem Lift.«
Wir traten durch die Haustür in eine große Vorhalle, in der mehrere Palmenkübel herumstanden. Links war der Lift, und unmittelbar daneben führte eine schmale, mit rotem Läufer belegte Treppe nach oben.
Anhand der Leuchtzifferskala stellten wir fest, daß sich die Liftkabine im 3. Stock befand. Phil drückte auf den Liftknopf, aber an der Skala veränderte sich nichts. Schon wollte Phil ein zweites Mal nach dem Lift rufen, als auf der Leuchtzifferskala eine Bewegung entstand. Die erleuchtete 3 verlöschte, und gleich darauf flammte die 2 auf. Dann die 1, und wenig später hielt der Lift im Parterre.
Die Tür des Lifts wurde geöffnet, und zwei Personen traten heraus.
Ich stutzte und merkte, daß auch Phil, der rechts neben mir stand, erstaunt den Kopf vorreckte.
Wir waren bis jetzt keinem der beiden begegnet, aber es gab keinen Zweifel darüber, wen wir vor uns hatten.
Wir kannten ihre Fotos, und die Gesichter waren so einprägsam, daß man sie gar nicht verwechseln konnte.
Vor uns standen Henry und Caroline Haitch.
***
Seit etwa vier Jahren ist Bills Dancing Hall das berüchtigste Vergnügungs-Etablissement im südlichen Manhattan. Was hier verkehrt, hat mindestens schon eine Großfahndung hinter sich und kennt die Zuchthäuser von innen besser als mancher Gefangenenaufseher. Wenn es Nacht wird in Manhattan und die Lichter aufflammen, und im East End die Gestalten der Unterwelt aus ihren Löchern kriechen, dann beginnt in Bills Dancing Hall der Hochbetrieb. Keine Nacht vergeht, in der es nicht zu einer wüsten Schlägerei kommt. Nicht selten fließt dabei Blut. Oft verschwinden Männer und Frauen, die man Tage später im Hudson oder im East River findet, wo sie von der ölig schimmernden Brühe an Land gespült werden. Tot - erstochen, erwürgt, erschlagen.
Bills Dancing Hall liegt an der Ecke Bowery/Bayard Street. Man steigt vier Stufen empor, tritt durch eine zweiflügelige Bohlentür und stößt dann mit Sicherheit auf einen muffig stinkenden Samtvorhang, der schon um die Jahrhundertwende
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