0257 - Ein Grabstein ist kein Kugelfang
die Pullover gegossen hatten. Das einzige Merkmal, daß noch an einen G-man erinnerte, waren die 38er Smith and Wesson Special, die wie immer in den Schulterhalftern unter unseren Achseln steckten.
Wir trabten zur Bowery und waren um 0.08 Uhr noch etwa 200 Schritte von der Konservenfabrik entfernt.
Wir gehörten zu den letzten, die ihre Plätze bezogen. Unsere Kollegen, sowohl vom FBI als auch von der City Police hatten sich lange vor uns auf ihre Posten begeben. Sie lümmelten jetzt in kleinen Gruppen in der Bowery herum. Einige standen in den Hausnischen der Hester-Street. Außer uns befanden sich doch mehr Menschen auf der Straße, als wir uns hatten träumen lassen. Unsere für dieses Gelichter vertrauenerweckende Maskerade machte sich auf jeden Fall bezahlt.
Phil bemühte sich, möglichst unsicher zu laufen. Er schwankte wie ein leichtes Rohr, daß von einem Orkan unsanft angeblasen wird. Phil brabbelte unaufhörlich dummes Zeug vor sich hin, brüllte gelegentlich ganz in der Manier sich stark fühlender Trunkenbolde auf und wurde im übrigen scheinbar nur durch mich davor bewahrt, sich in den Schmutz der Bowery zu legen.
Ich hatte meinen Freund untergehakt und schleppte ihn immer weiter in Richtung Konservenfabrik. Wir hielten die Augen offen, und wenn ich mich nicht täuschte, dann schlichen soeben zwei dunkle Gestalten zum Fabriktor, verharrten davor kurz und waren dann plötzlich verschwunden.
Der Regen wurde stärker. Dünne Rinnsale liefen von meinem zerbeulten Hut, tropften auf die Nase und flitzen, eine unangenehme Gänsehaut verursachend, mit der Schnelligkeit langfüßiger Käfer in den Kragen meines Pullovers.
In der Nähe des Fabriktors blieben wir schwankend stehen.
Ich ließ Phil einen Augenblick los, und er torkelte hin und her. Er kam dabei bis dicht an die Mauer und stieß wie aus Versehen gegen eine im Schatten stehende Gestalt, die sich unter einer Regenrinne in Sicherheit gebracht hatte.
Die Gestalt ließ einen wütenden Fluch vom Stapel, hob die Stimme mit erheblichem Aufwand und trat nach Phil. Außer meinem Freund und mir konnte keiner die von Sergeant Quentin — er nämlich war es — geflüsterten Worte verstehen: »Zwölf Mann sind bis jetzt durch das Tor. Nur der Boß fehlt noch.«
Wir gaben keine Antwort, sondern schleppten uns weiter durch die Pfützen und Lachen, die sich in immer größerer Zahl durch den Regen auf dem holperigen Straßenpflaster bildeten.
Von einer nahen Kirche schlug es Mitternacht.
Der Klang der Glocken war dünn und schüchtern, als fürchte sich die Glocke in dieser Gegend vor der Feindlichkeit der Umwelt.
Ich schleppte Phil in einen dunklen Torweg, der nicht weit von dem Eingang zu der Fabrik entfernt lag. Im Schatten warteten wir, aber niemand dachte daran, durch das Tor zu treten.
War der Boß vielleicht lange vor seiner Gang gekommen?
War er noch nicht da?
Würde er noch kommen?
Hatte er einen anderen Eingang in die Fabrik genommen?
Oder war seine Sprechanlage so gut und so ausgedehnt, daß er von weither sprach?
Das letztere war nach menschlichem Ermessen unmöglich, denn eine derartige Anlage wäre den regelmäßig das Fabrikgelände patrouillierenden Polizisten aufgefallen.
Die Leuchtzeiger meiner Armbanduhr zeigten 20 Minuten nach Mitternacht.
»Wir können nicht länger warten«, raunte ich Phil zu. »Es besteht die Gefahr, daß sich die Burschen verkrümeln. So gut wie jetzt haben wir sie nie wieder in der Falle.«
»Richtig! Wenn der Boß bis jetzt nicht in die Fabrik gekommen ist, dann erscheint er auch nicht mehr.«
»Das glaube ich auch. Aber vielleicht ist der Speech längst im Gange. Makulis sagte, daß der Boß immer zwischen Mitternacht und 0.30 Uhr seine Befehle ausgebe.«
»Also los«, meinte Phil leise. »Worauf wartest du noch?«
Wir hatten abgemacht, daß Phil und ich als erste das Gelände betreten sollten. Unsere Pirsch durch das Tor würde für die anderen das Zeichen zum Nachrücken sein. Allerdings mußte das unbedingt in kleinen Grüppchen geschehen, um keinen Verdacht zu erregen. Denn im Falle einer Masseninvasion hätten wir mit Sicherheit die ganze Bowery gegen uns gehabt.
Mein Freund und ich trabten über die Straße. Wir mimten jetzt nicht mehr den Betrunkenen und seinen Begleiter, sondern sahen zu, möglichst schnell zu dem Tor zu kommen.
Wir erreichten es, und ich drückte auf die dicke rostige Klinke.
Sie gab nach, und das Tor schwang leise knarrend auf.
Ich zwängte mich durch den Spalt,
Weitere Kostenlose Bücher