026 - Das Totenhaus der Lady Florence
seine Wirkung.
»Machen Sie keinen Unsinn, Mann«, murmelte er. »Sie irren sich, ich ...«
»Keine Bewegung!«
Iwan Kunaritschew wusste, dass er keinen potentiellen Killer vor sich
hatte. Doch Dortson war in einer Verfassung, in der er zu allem fähig war.
Seine Schwester rief die Polizei an. Und die Polizei kam.
Elvira Tranquill ließ die beiden Beamten in die Wohnung ein.
Iwan Kunaritschew bedauerte, dass sich der Vorfall auf diese Weise
entwickelt hatte. Reginald Dortson hatte sich zu einem unberechenbaren Gegner
entwickelt. Selbst im Beisein der beiden uniformierten Besucher war er nicht
bereit, das Gewehr zur Seite zu legen.
Er beschuldigte Iwan Kunaritschew, ungebeten in die Wohnung eingedrungen
und die Verwüstungen angerichtet zu haben. Außerdem behauptete er, dass der
Eindringling im Besitz eines falschen Passes sei. Dieser wurde beschlagnahmt.
Ebenso die Waffe. Iwan Kunaritschew wurde abgetastet. Was man an losen
Gegenständen in seinen Taschen fand, nahmen die beiden Männer an sich. Doch die
in das Futter seines schweren Mantels eingenähten anderen Ausweise wurden nicht
gefunden. Wie Larry Brent so war auch Iwan Kunaritschew mit einer Anzahl von
Lizenzen – einige auf verschiedene Namen lautend – ausgerüstet, um jeder
Situation gewachsen zu sein.
Es wäre töricht gewesen, jetzt in dieser Lage den Beamten eine Erklärung
abzugeben oder mit der Wahrheit herauszurücken. Die klang unwahrscheinlicher
als die Story, welche Reginald Dortson zum Besten gab.
Iwan Kunaritschew zuckte hilflos die Achseln, als er an dem zornigen
Dortson vorüberkam. Er blieb kurz stehen. »Schade«, meinte er.
»Ich wollte Ihnen alles erklären. Aber Sie ließen mich nicht zu Wort
kommen. Was immer Sie auch wissen, Mister Dortson: Es wäre besser gewesen, Sie
hätten mit mir darüber gesprochen.« Er blieb ruhig und sachlich, seiner Stimme
haftete nicht die geringste Erregung an. »Sie wissen etwas. Und dieses Wissen
ist gefährlich. Für Sie und die Allgemeinheit. Und die Gefahr nimmt nicht
dadurch ab, dass Sie mich jetzt verhaften lassen. Ich möchte Ihnen einen Tipp
geben, Mister Dortson: Halten Sie jetzt erst recht Türen und Fenster
geschlossen! Was immer auch mit mir unbemerkt in die Wohnung schlüpfte, ich
wusste nichts davon und habe nichts damit zu tun. Aber dieser unheimliche
Gegner, dessen Nähe ich selbst gespürt habe, wird versuchen, Sie mundtot zu
machen. Das war bisher Ihre Befürchtung. Und sie wird es bleiben. Ich hätte
Ihnen vielleicht helfen können, Mister Dortson. Nun müssen Sie weiterleben mit
Ihrer Angst und Ihren Alpträumen.«
»Schaffen Sie mir den Kerl endlich aus den Augen«, schimpfte der
Wissenschaftler. »Er redet Unsinn!«
Iwan Kunaritschew trug Handschellen. Man wusste nichts über seine Person.
Aber die Beschuldigungen und Halbwahrheiten, die Reginald Dortson von sich
gegeben hatte, reichten aus, um in ihm einen gefährlichen und unberechenbaren
Verbrecher zu sehen, der wahrscheinlich von irgendeiner im Geheimen arbeitenden
Organisation geschickt worden war.
Iwan Kunaritschew wusste nur zu gut, dass seine Festnahme einigen Staub
aufwirbeln würde. Auch die Tatsache, dass er mit einer modernen, in dieser
Gegend unbekannten Waffe ausgerüstet war, sprach nicht gerade zu seinen
Gunsten.
Er wurde in den Wagen geschoben. Sein Begleiter war mit ihm durch die
Handschellen verbunden. Der zweite Uniformierte steuerte. Wortlos ging die
Fahrt vorüber.
Im Revier selbst konnte man sich nicht gleich um Iwan Kunaritschew kümmern,
weil sehr viel zu tun war. Drei Schläger waren sich in die Haare geraten, ein
Zuhälter und zwei seiner Pferdchen waren
in Schwierigkeiten gekommen. Die eine behauptete, sie würde gezwungen, ihre
Liebe käuflich anzubieten, die andere gab zu verstehen, dass dies nicht wahr
sei, weil sie mit Rosy – so hieß die andere – diesem Gewerbe schon seit drei
Jahren nachginge und diese offensichtlich nur die Absicht hätte, Charly – so
hieß der Zuhälter – zu hintergehen und in die eigene Tasche zu wirtschaften.
An einem anderen Tisch saß eine Frau mit verweinten Augen und gab eine
Vermisstenmeldung auf. Seit mittags um drei Uhr war ihr Kind nicht nach Hause
gekommen, der protokollierende Beamte machte ihr Vorwürfe, dass sie nicht schon
früher gekommen war.
»Aber ich habe erst unseren ganzen Bekannten- und Freundeskreisaufgesucht«,
entgegnete sie kleinlaut, als Iwan vorbeigeführt wurde. Der gewann den
Eindruck, dass man ihn einer Sonderbehandlung
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