0260 - Die Mitternachts-Hexe
fallen.
***
»Wie immer«, sagte Nicole kopfschüttelnd. »Es wäre ja auch ein Wunder, Wenn’s mal anders käme…«
Die Maschine aus London hatte Verspätung. Angeblich mußte der Start des Nebels wegen um eine halbe Stunde verschoben werden. Somit zögerte sich auch Bill Flemings Ankunft hinaus, der von New York kam, in London umstieg und nach Cork flog.
Sein Empfangskomitee stand derweil untätig herum. »Trinken wir noch einen Kaffee«, schlug Nicole vor.
Zamorra runzelte die Stirn. »Das mit dem Kaffee kommt mir bei dir allmählich verdächtig vor«, murmelte er besorgt. »Zudem geht es den Iren ähnlich wie den Briten: sie machen einen hervorragenden Tee, bloß mit dem Kaffee kommen sie nicht klar. Die Brühe vorhin hat mir gereicht.«
»Weißt du wenigstens, warum der Insel-Kaffee so seltsam schmeckt?« fragte Nicole.
Zamorra zuckte mit den Schultern und sah durch die Fensterfront auf das Rollfeld hinaus.
»Du wirst es mir sicher verraten«, vermutete er.
»Sie nehmen eine Kaffeebohne, legen sie in die Tasse und schütten etwas braune Farbe darüber«, verkündete Nicole mit unschuldigem Augenaufschlag.
Zamorra legte den Kopf in den Nacken und gab ein schauerliches Geheul von sich, dem eines liebeskranken Werwolfs nicht unähnlich. »Pscht!« fauchte Nicole. »Man wird auf uns aufmerksam! Komm, wir gehen ein wenig in Sichtdeckung!«
Sie zog den Professor an der Hand mit sich - geradewegs durch die Tür eines Lädchens, das nach einem Free-Duty-Shop aussah. Zu spät erkannte Zamorra, daß man hier zwar zollfrei einkaufen konnte, aber keine Lebensmittel, Tabakwaren und Zeitschriften, sondern Textilien.
Und Nicoles Adleraugen erspähten natürlich zielbewußt das teuerste Stück.
»Flucht!« ächzte Zamorra. »Ich hab’s geahnt. Nix wie weg hier! Hoffentlich sperrte Leonardo mein Konto!«
Nicole hielt ihn fest.
»Tapfer bleiben«, verlangte sie. »Feigheit vor dem Feind gilt hier nicht. Du mußt mir doch sagen, ob mir das gute Stück steht.«
Leider, fand Zamorra, stand es ihr. Süß zum Anbeißen und unverschämt winzig. Die Mini-Mode erreichte hier ihren augenblicklichen Höhepunkt. Die Preisgestaltung ebenfalls.
Zamorra hoffte, jede Sekunde durch die Lautsprecherdurchsage gerettet zu werden. Aber das Schicksal zögerte die Landung der Maschine aus London genau so lange hinaus, bis der Meister des Übersinnlichen blutenden Herzens den Scheck ausgefüllt hatte.
»Schreck müßte das Ding heißen, nicht Scheck«, murmelte er ergrimmt. Aber der Anblick seiner Gespielin entschädigte und versöhnte ihn wie- -der. Nicole zog es nämlich wie schon öfters vor, das winzige Ding direkt anzubehalten, trotz des im Augenblick leicht kühlen Küstenklimas. Aber neue Kleidung macht bekanntlich temperaturunempfindlich.
Draußen auf dem Rollfeld setzte das Flugzeug auf. Wenig später tauchte Bill auf, unternehmungslustig sein Köfferchen schwenkend. Er begrüßte Zamorra mit kernigem Händedruck und Nicole mit zartem Küßchen.
»Freut mich, daß ihr beide noch existiert«, sagte er. »Das mit Château Montagne ist ja eine Schweinerei…«
»Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen«, sagte Zamorra. »Ich habe nicht vor, mich mit dieser Art von Enteignung abzufinden. Irgendwann hole ich mir mein Eigentum zurück und schicke Leonardo zum Teufel.«
»Wenn es soweit ist, sag Bescheid«, grinste Bill. »Du weißt ja, ich bin der größte ›Zumteufelschicker‹ aller Zeiten.«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Das wird noch etwas dauern. Ich muß erst einmal Leonardos schwache Stellen herausfinden. Und ich muß aus dem Cottage, dieser Fluchtburg, eine richtige Basis machen. Was ich hier im Moment erlebe, ist quasi ein Neuanfang vom Punkt Null aus. Das Schlimmste ist: Leonardo besitzt das Amulett.«
Bill pfiff durch die Zähne. »Erzähl«, sagte er.
Zamorra tat ihm den Gefallen. Mit wenigen Worten umriß er das Geschehen; sein Abenteuer in der Dimension der Meeghs hatte der Freund ja miterlebt, bis sie beim Sturz durch das künstliche Weltentor voneinander getrennt wurden. Zamorra und Nicole hatten sich nach Frankreich durchgeschlagen. Dort wartete dann die böse Überraschung auf sie…
»Immerhin habt ihr schon ein richtiges Auto hier«, stellte Bill nach einem Blick auf den Jaguar fest. »Gemietet?«
»Gekauft«, sagte Nicole kurz. »Mieten ist ein teurer Spaß in dieser Wagenklasse.«
»Darunter geht’s wohl nicht?« grinste Bill.
»Blöder Amerikaner«, fauchte Nicole. »Du mit deinem
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