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0260 - Die Mitternachts-Hexe

0260 - Die Mitternachts-Hexe

Titel: 0260 - Die Mitternachts-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa und Manfred Weinland
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nichts mehr nachzusehen.
    Dermot Fitzgibbon, Postbote, tot, war verschwunden.
    ***
    Denise Deelay schritt forsch und rüstig aus. Forscher und rüstiger, als sie es eigentlich hätte tun sollen. »Laß ruhig ängehen, Mädchen«, pflegte der Arzt bei jedem seiner Hausbesuche zu sagen, bloß kümmerte sich das mittlerweile dreiundachtzigjährige Mädchen herzlich wenig um diese Empfehlung. Wenn Denise Deelay so richtig wirbeln konnte, war sie glücklich und zufrieden. Dreimal war sie um Haaresbreite am Herzinfarkt vorbei marschiert. Der vierte Versuch würde kaum lange auf sich warten lassen.
    Schließlich besaß Miß Deelay - auf das »Miß« legte sie besonderen Wert als standhafte Jungfer bis ins hohe Alter - nicht nur ein annehmbar großes Häuschen mit annehmbar großem Haus- und Hofhund, sondern auch noch einen fast unannehmbar großen Garten, in dem allerlei Grünzeug wuchs und täglich etliche Stunden Pflege verlangte. Die daran anschließenden Abende brachte Miß Deelay nun keineswegs damit zu, wie man vielleicht meinen möchte, pfeiferauchend vor dem Haus auf der Bank zu sitzen. Vielmehr ging sie in den Pub, zechte dort mit den Herren der Schöpfung um die Wette, erfand neue Flüche und Schimpfwörter und vertauschte auch schon mal Guinness mit Whiskey. Wer sie nicht näher kannte, glaubte nicht, daß sie immer noch in jungfräulichem Stande schwelgte - und doch war dem so.
    Andernfalls hätte sie ja auch zumindest im Vollrausch nicht mehr auf der »Miß« bestanden.
    Ansonsten war Denise Deelay weitaus harmloser als ihr Ruf. Sie half, wo sie nur konnte. Im Gegenzug half man natürlich auch ihr. Die alte Dame war aus dem Dorf gar nicht mehr wegzudenken. Häufig genug hatte der Bürgermeister sie schon als Sehenswürdigkeit ausgegeben.
    Alle anderen Sehenswürdigkeiten Macgillycuddys verblaßten dagegen.
    Im Moment schwang Miß Denise Deelay kräftig ihren mit Schnitzereien verzierten Gehstock und näherte sich schwungvoll dem Häuschen der Brannigans, wo Großvater und Enkel in mehr oder weniger trautem Beisammensein wohnten. Der alte Cal Brannigan hatte ihr doch versprochen, heute vormittag vorbeizukommen und nach dem Brunnen zu sehen, der offenbar restlos verschlammt war. Der Brunnen und dessen Säuberung gehörte zu den an den Fingern einer Hand abzählbaren Dingen, die Miß Denise nicht allein schaffte. Nicht mehr. Früher war sie oft genug am Seil in den Brunnenschacht hinein geturnt.
    Nun, es war zwei Uhr mittags, und Cal Brannigan war immer noch nicht da. Seit sieben Uhr morgens wartete Miß Denise bereits.
    Heftig klopfte sie an. »Cal! Schlafmütze! Mach auf, oder bist du gestern abend wieder mal versumpft?«
    Niemand antwortete.
    »Unfaßbar«, stellte Miß Denise fest. »Um diese Zeit noch schlafen? Wer darf denn das?«
    Sie ging ums Haus herum. Aber im Garten war Cal Brannigan auch nicht. Sein Fahrrad lehnte am Schuppen, er konnte also auch nicht weiter weg sein.
    Denise Deelay erreichte die Hintertür. Wieder klopfte sie. Es war schon mehr ein erzürntes Hämmern. Was man versprochen hatte, mußte man auch halten, und sie war wild entschlossen, Cal Brannigan zum Einhalten seines Versprechens zu zwingen. Und wenn sie ihn dafür aus dem Bett prügeln mußte!
    Indessen… ein wenig erschauerte sie schon bei diesem Gedanken, war sie doch standhafte Jungfrau, und ein Mann im Bett war eine heikle Angelegenheit.
    Immer noch rührte sich niemand.
    Entschlossen öffnete sie die Tür und trat in den dämmerigen Korridor. Wie die meisten Leute in Macgillycuddy schloß auch Cal Brannigan weder die hintere noch die gegenüberliegende vordere Haustür jemals ab. So hinderte niemand die alte Dame am Betreten des Hauses.
    »Cal?« rief sie. »Cal, alter Vogel, sitzt du auf deinen Eselsohren?«
    Dem war offenbar so, weil Cal sich auch jetzt noch nicht rührte. Aufs Geratewohl öffnete Miß Denise eine Zimmertür nach der anderen.
    Dann…
    ... stand sie auf der Schwelle von Kevins Zimmer.
    Ihre Augen weiteten sich, das Blut wich aus ihrem Gesicht. Ihr Mund öffnete sich zu einem entsetzten Schrei.
    Da lag Großvater Cal Brannigan. Lag in seinem Blut, rührte sich nicht, und neben ihm kauerte ein Tier.
    Ein Tier, das mit äußerst stumpfsinnigen Augen in die Feme sah.
    Aber war das wirklich ein Tier?
    Miß Denise verzichtete darauf, diese Frage vor Ort zu klären. Sie wirbelte auf dem Absatz herum, schrie gellend und stürmte aus dem Haus.
    Erst da, wo es am publikumsträchtigsten war, geruhte sie in Ohnmacht zu

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