0265 - In Brooklyn blüht der Galgenbaum
wenigstens zu verletzen. Über kurz oder lang wird die Sonderabteilung der Stadtpolizei ihm ja doch auf der Spur sein.«
»Dessen bin ich mir gar nicht so sicher, Jerry. Sprechen Sie vorläufig noch mit keinem darüber, ich wül Ihnen nämlich etwas anvertrauen: Angenommen Jerry, angenommen, dieser seltsame ›Feind‹ steckt nicht nur hinter einem Bombenanschlag?«
»Wie meinen Sie das, Chef?«
Mr. High fuhr sich mit einer abgespannten Geste über die Stirn.
»Vielleicht sehe ich wirklich schon Gespenster«, murmelte er. »Aber mir ist vorhin, als ich von dem Explosionsort zurückkam, etwas eingefallen. Eine Theorie, wenn Sie es so nennen wollen. Und zwar Folgendes: 1. Wir wissen mit einiger Sicherheit, dass große Bestrebungen in der Unterwelt im Gange sind, fast alle Banden zu einer einzigen Supergang zu verschmelzen. 2. Gleichzeitig werden drei reiche Leute umgebracht, und die Erben sind dabei höchstwahrscheinlich nicht ganz unschuldig. Es sieht aber beinahe so aus, als ob die Erben erpresst würden und wesentliche Teile ihrer beträchtlichen Erbschaft an die Erpresser ausliefem sollen, was die Erpresser in den Besitz eines sehr großen Vermögens brächte. 3. Ebenfalls gleichzeitig ruft mich ein Unbekannter an und teilt mir mit, er werde aus New York einen Hexenkessel machen. Und zum Beweise seiner Absicht lässt er eine Bombe explodieren. - Jerry, wie nun, wenn das gar nicht drei verschiedene Ereignisse sind? Wenn das alles einem Gehirn entsprungen wäre?«
Ich sah Mr. High erschrocken an.
»Dann, Chef«, sagte ich halblaut, »wenn es wirklich so ist, dass alles dies ein einziger, umfassender Plan ist, dann dürfte es diesem Burschen tatsächlich gelingen, aus New York einen Hexenkessel zu machen.«
Mr. High nickte schwer.
»Das ist es, was ich fürchte«, gab er zu.
***
Als Jack Gallus zurück in sein neues Quartier kam und das Paket mit den neuen Hemden auf sein Bett legte, wurde er schon erwartet. Nick Strandford, der Vormann der Bande, hockte auf einem Stuhl, rauchte eine Zigarette und sah schweigend zu, wie Gallus seine Neuerwerbungen auspackte.
»Bist du jetzt fertig?«, fragte er nach einer Weile.
»Fertig? Womit?«
»Mit dem Auspacken.«
»Ja. Warum? Stört es dich?«
»Nein. Aber der Boss möchte dich sehen.«
»Warum sagst du es nicht gleich? Soll ich hinaufkommen?«
»Ja.«
Jack Gallus zuckte die Achseln, drehte sich um und ging hinaus. Er hörte, dass Strandford hinter ihm herkam. Sie stiegen die Treppe hinan. Oben klopfte Jack Gallus an die Tür. Gleich darauf öffnete das Mädchen, das er schon einmal hier gesehen hatte.
»Er soll zum Chef kommen«, sagte Strandford über Jacks Schulter hinweg.
Das Mädchen gab stumm den Weg frei. Jack trat ein, immer noch gefolgt von Strandford. Sie durchquerten die Küche und betraten das überladene Wohnzimmer.
O’Kelly saß diesmal nicht auf dem Teppich, sondern in dem roten Plüschsofa. Er hatte ein großes Kissen auf seinen Oberschenkeln liegen und ein Buch darauf. Als Jack Gallus dicht vor dem Gangsterboss stehen blieb, bemerkte er, dass O’Kelly eine seltene Fähigkeit besitzen musste: Er musste Wörter lesen können, die auf dem Kopf standen, denn das Buch lag verkehrt herum auf dem Kissen. Jack Gallus bemerkte es, sagte aber nichts dazu.
»Sie wollten mich sprechen, Chef?«
O’Kelly sah seinen neuen Mann lange an. Schließlich brummte er vage:
»Wie aus dem Ei gepellt!«
Jack Gallus grinste:
»Ja. Ich kann mich, glaube ich, wieder sehen lassen, ohne dass Gefahr besteht, dass mich ein übereifriger Bulle als Tramp festnimmt.«
»Hast du mir irgendwas zu erzählen?«, fragte O ’Kelly mit gesenktem Kopf, während er sich den Anschein gab, dass er in dem verkehrt liegenden Buch läse.
Jack Gallus zeigte nur durch eine unmerkliche Bewegung der Augenbrauen an, dass er die Gefahr witterte, die sich über seinem Haupt zusammenbraute. Er ließ sich in einen Sessel fallen und steckte sich eine Zigarette an.
»Ich glaube, ich sollte dir tatsächlich was erzählen, Boss«, meinte er vertraulich. »Aber schick Strandford raus! Er braucht ja nun auch nicht alles zu hören.«
»Strandford bleibt hier.«
»Na schön. Mir soll es recht sein.«
»Also? Was hast du zu erzählen?«
»Ich habe mir drei neue Hemden gekauft«, sagte Jack Gallus.
O’Kellys Nasenspitze wurde weiß. Strandford fuhr mit der rechten Hand in die Hosentasche, die auf einmal stark ausbeulte. Jack Gallus erinnerte sich, dass er keine Schusswaffe mehr besaß,
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