0268 - Wikkas Rache
Die Angst verging, als sie feststellte, daß der Untergrund sie trug.
Lydia ging ein paar Schritte vor.
Sie hatte die Kühlerschnauze schnell erreicht, schaute nach links und wollte sehen, gegen was sie da gefahren war, als sie plötzlich etwas hörte.
Gesang…
Zuerst glaubte sie an einen Irrtum. Wer schlich hier nachts durch den Sumpf und sang ein Lied? Das mußte eine Täuschung sein. Lydia schüttelte den Kopf, sie lauschte weiter und hörte tatsächlich Stimmen, die sich zu einem Singsang vereinigten.
Es war kein normales Singen, sondern ein seltsames. Sie hatte es mal in einem Film gehört, der in einem Spukschloß spielte. Dort kamen Geister und sangen ebenfalls.
Hier war es gleich…
Sie schaute in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren.
Viel sah sie nicht. Träge wallte der Nebel. Er schien mit seinen Enden an der schwarzen Fläche festzukleben.
Lydia schluckte.
Noch immer spürte sie den Schweiß auf der Stirn. Ihr Atem ging heftig. Und dann sah sie plötzlich die Bewegung. Zuerst dachte sie, es wären die Nebelschleier, wenig später wurde sie eines besseren belehrt, denn sie vernahm auch Stimmen.
Geisterhaft, unheimlich drangen sie durch die Stille und wurden zum Teil vom Nebel verschluckt. Trotzdem konnte Lydia einige Worte verstehen.
»Die Gräber haben sich geöffnet. Die Zeit der Hexen ist da. Jahrhunderte sind vergangen, doch die Toten konnten nicht ruhen. Nicht ruhen, nicht ruhen…«
Lydia Barrows glaubte, verrückt zu werden. Das war Wahnsinn, was sie da erlebte. Sie schüttelte den Kopf, ging noch einen Schritt näher, bis sie dicht am Rand der Straße stand, und riß die Augen weit auf, um besser sehen zu können.
Sie kamen aus dem Nebel.
Und sie schwebten über dem Moor.
Unheimliche Gestalten, eingehüllt in dunkle Säcke oder Kutten, wobei die Gesichter geisterhaft blaß unter dem Oval der Kapuzen zu sehen waren.
Lebende Tote.
Zombie-Hexen!
Wie festgenagelt stand die junge Frau auf dem Fleck. Ihr Mund bewegte sich, ohne daß ein Wort über ihre Lippen drang. Der Atem ging keuchend, sie ging wieder zurück. Zaudernd, ängstlich und zögernd.
Dabei sah sie nicht, daß sich unter dem Fahrzeug etwas bewegte. Eine Hand kroch hervor und näherte sich unaufhörlich Lydias rechtem Fußknöchel…
***
Für den verletzten Rodney war gesorgt worden. Suko hatte inzwischen auch dessen Nachnamen erfahren.
Spiker hieß er. Rodney Spiker.
Er lag auf einer Kirchenbank, und zwei Frauen kümmerten sich um ihn. In der an die Kirche grenzenden Sakristei hatten sie tatsächlich einen Verbandkasten gefunden. Pflaster, Salben und auch Mullbinden waren in ausreichender Menge vorhanden. Trotzdem gingen die Frauen sparsam mit dem Material um, man wußte ja nicht, was noch alles auf sie zukommen würde.
Die Szene erinnerte Suko an einen Fall, der schon einige Tage zurücklag. Damals waren er und John Sinclair zum erstenmal dem Todesnebel begegnet. Um ihm zu entgehen, hatten sie sich mit den Dorfbewohnern zusammen in einer Kirche versteckt. [3] Dem Todesnebel war es trotzdem gelungen, in die Kirche Einlaß zu finden, was Suko wiederum zu der Aussage veranlaßte, daß sie sich in dieser Kirche hier auch nicht hundertprozentig sicher fühlen konnten. Wobei die Hexen ja schon dafür gesorgt hatten, daß das Kreuz entfernt wurde.
Die Einwohner von Blackmoor hatten Platz in den langen Bankreihen gefunden. Sie hockten darin wie eine Herde ängstlicher Schafe. Ein jeder schaute den anderen fragend an, als könnte er aus dem Gesicht seines Nachbarn die Antwort auf eine Frage erhalten, die alle Versammelten am meisten beschäftigte.
Können wir es schaffen?
Das stand wie ein großes Fragezeichen über ihnen. Konnten sie es tatsächlich schaffen?
Suko war nicht gefragt worden. Keiner traute sich direkt, man warf ihm nur Blicke zu.
Der Inspektor wanderte durch das Kirchenschiff. Er inspizierte es, suchte nach Verstecken und betrat auch die kleine Sakristei, wo das Licht brannte.
Einen weiteren Raum gab es hier nicht. Der Pfarrer wohnte zwar nahe der Kirche, es existierte allerdings keine Verbindung zu seinem Haus. Suko schob einen schmalen Holztisch zur Seite und blieb vor einem hohen Sakristeifenster stehen. Durch die Scheibe schaute er nach draußen in die Dunkelheit. Er hörte zwar nicht, er sah sie nur.
Hin und wieder huschten sie am Fenster vorbei. Da glichen sie feurigen Kometen, wenn sie ihre Hexenkräfte ausspielten, und sie waren auch im Nu verschwunden, Noch konnte Suko die
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