027 - Das Gesicht im Dunkel
Liebschaft mit diesem Mädchen beginnst?«
»Ich wollte sie heiraten.«
»Heiraten!« stieß sie atemlos hervor. »Du sagtest doch, daß du niemals heiraten würdest.«
Er zog sie neben sich aufs Sofa und begann: »Die Sache liegt so. Als Torrington damals Diamanten von den Eingeborenen kaufte, besaß er eine Farm namens Graspan. Es gibt tausend Graspans in Südafrika, aber dieses Graspan liegt an einem von den Flüssen, die Fourteen Streams seinen Namen gaben. Er war kaum zur Zwangsarbeit weggeschickt worden, als auf seiner Farm Diamanten entdeckt wurden. Das habe ich erst kürzlich erfahren, weil die Mine unter dem Namen seiner Rechtsanwälte Hallam und Coold betrieben wurde und noch heute ›Hallam & Coold Mine‹ heißt. Dan Torrington ist also Millionär, und zwar ein sterbender Millionär. Seit ich wieder in England bin, bekomme ich von einem der Gefängniswärter regelmäßig Berichte über den Mann, und das letztemal schrieb er, es ginge langsam mit ihm zu Ende.«
»Wenn du dann Audrey heiratest -«
Er lachte wieder. »Ganz recht! Dann bin ich steinreich.«
»Aber das bist du doch schon!«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Ja, ich bin reich«, sagte er hart, »aber ich will noch reicher werden.«
Es klopfte. »Wer ist da?« rief er gereizt.
»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen, Sir. Er sagt, es wäre dringend.«
»Ich kann niemand empfangen. Wer ist es denn?«
»Captain Shannon, Sir.«
Doras Mund öffnete sich zu einem entsetzten »Oh!« Dann flüsterte sie: »Er darf mich nicht sehen. Wo soll ich hin?«
»Durch den Wintergarten und über den Hof!« raunte Marshalt ärgerlich.
Er hatte sie kaum in das dunkle Bibliothekszimmer hineingeschoben und die Tür hinter ihr geschlossen, als Dick Shannon hereinkam. Er war im Frack, und sein Gesichtsausdruck war nicht angenehm.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Marshalt.«
»Herr Marshalt«, knurrte dieser, Böses ahnend.
»Das ist mir völlig einerlei. Sie luden sich heute zu Tisch eine Dame ein.«
»Wie, wenn sie sich nun selbst eingeladen hätte?« entgegnete Marshalt.
»Sie luden sich heute eine Dame ein und beleidigten sie auf die gröblichste Weise.«
»Mein lieber Mann«, sagte Marshalt gedehnt, »Sie sind ein Weltmann. Glauben Sie etwa, daß dieses Mädchen zu mir kam, ohne - nun, sagen wir, ohne etwaige Möglichkeiten ins Auge zu fassen?«
Eine Sekunde lang starrte Dick Shannon ihn an, dann schlug er dem Mann mit dem Handrücken ins Gesicht, so daß dieser laut aufbrüllend zurücktaumelte.
»Das ist eine Lüge, die Sie nicht wiederholen dürfen«, sagte Dick Shannon mit leiser Stimme.
»Sie nennen sich Polizeibeamter - gehört dies etwa zu Ihren Amtspflichten?« schrie Marshalt.
»Ich kenne die Pflichten der Polizei sehr gut«, entgegnete Shannon in strengem Ton. »Sie stehen an der Außenwand von Old Bailey eingehauen: ›Schützet die Kinder der Armen und strafet die Übeltäter.‹«
14
Dick Shannon war es ein klein wenig wohler, als er aus dem Marshaltschen Haus herauskam. Rein mechanisch warf er einen Blick auf das Nebenhaus, das er gerade beobachtet hatte, als Audrey herauskam und ihm geradezu in die Arme lief. Da war es vollkommen dunkel gewesen, aber jetzt sah er Licht. Während Shannon auf das Haus zuging, erlosch das Licht. Noch ganz erfüllt von seiner Begegnung mit der weinenden Audrey, klopfte er an die Tür und glaubte in der Halle eine leise Bewegung zu vernehmen. Würde der geheimnisvolle Mann doch endlich herauskommen?
Er wartete fast zehn Minuten lang, bevor er seinen Wachtposten verließ. Er wollte Audrey noch sprechen und sich ihre wirre Geschichte genauer erzählen lassen. Während er weiterging und sich nach einem Auto umsah, blieb er jedoch plötzlich stehen. Bildete er es sich nur ein, daß eine dunkle Gestalt aus jenem Rätselhaus herausschlüpfte und mit sonderbarem, etwas hinkendem Gang davoneilte? Sofort nahm Shannon die Verfolgung auf und erreichte die Person an der Ecke der Orchard Street.
»Verzeihen Sie!«
Der Fremde wandte ihm ein schmales, strenges Gesicht zu. Durch die Gläser seiner goldenen Brille musterten zwei prüfende Augen den Fremden, und unwillkürlich glitt seine Rechte in die Manteltasche.
»Sie sind ein Bekannter von Herrn Malpas, nicht wahr? Ich sah Sie aus dem Haus herauskommen.«
»Nein, ich kenne Herrn Malpas nicht«, lautete die Antwort. »Ich bin hier in London ganz fremd und wollte nach dem Oxford Circus.«
»Aber ich habe Sie vor zwei Minuten doch gar nicht auf dem Portman
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