027 - Das Gesicht im Dunkel
die Tür geöffnet habe, aber sie wußten es selbst nicht. So kehrte er denn nach Nr. 551 zurück, wo man inzwischen alle Zimmer bis auf eins im obersten Stock erfolglos durchsucht hatte; dieses eine ließ sich nicht öffnen. »Holen Sie ein Brecheisen!« befahl er. »Ich gehe nicht aus dem Haus, bevor wir nicht jeden Winkel genau durchforscht haben.«
Gleich darauf stand er allein in dem schwarzdrapierten Zimmer, als ein Mann hereinkam, in dem er zu seiner Verwunderung den lahmen ›Herrn Brown‹ erkannte.
»Wie kommen Sie hierher?« fragte er. »Steht denn kein Schutzmann vor der Tür?«
»Wenn einer da war, habe ich ihn nicht gesehen«, lautete die gelassene Antwort. »Ich bin wohl unerwünscht hier?«
»Ich fürchte, ja«, entgegnete Dick. »Aber ich werde Sie nicht wieder gehen lassen, ehe ich weiß, wie Sie hereingekommen sind.«
Er begleitete ihn nach unten. Der Beamte an der Tür hatte ihn nicht hereinkommen sehen.
»Was bedeutet das?« fragte Dick in strengem Ton.
»Der Wachtmeister hat offenbar vergessen, daß er auf die Straße ging, um die Menge zurückzudrängen«, bemerkte Brown lächelnd.
Der Beamte gab dies zu.
»Wo wohnen Sie?« fragte Dick unmutig den Besucher.
»Immer noch im ›Ritz-Carlton‹.«
Da Dick festgestellt hatte, daß er tatsächlich ein Gast dieses eleganten Hotels war, ließ er ihn gehen, obwohl ihm die ganze Sache nicht gefiel, und begab sich wieder nach oben, wo zwei Beamte die verschlossene Tür bewachten, an der weder ein Griff noch ein Schloß zu entdecken war.
»Sie muß von innen verschlossen sein, Captain«, meldete der eine Polizist. »Es ist irgend jemand drin. Es klingt, als ob ein Tisch über den Fußboden gezogen wird.«
Dick lauschte und hörte nach einer Weile ein ganz leises Geräusch wie von einer verrosteten Türangel.
»Wir haben es mit einer Axt versucht, hatten aber nicht genug Spielraum«, sagte Steel. »Jetzt kommen die Leute mit einer Brechstange.«
»Hören Sie?« sagte einer von den Leuten plötzlich.
Man hätte taub sein müssen, wenn man es nicht gehört hätte: Erst klang es, als ob ein Stuhl umfiele, dann folgte ein dumpfer Ton wie von einem fallenden Körper.
Endlich begannen die Leute mit der Brechstange zu arbeiten, und nach zwei Minuten gab die Tür nach.
Das Zimmer war bis auf einen Tisch und einen am Boden liegenden Stuhl völlig leer. Dick sprang rasch auf den Tisch und rüttelte an dem Oberlichtfenster, aber es war geschlossen. Dann richtete er den Lichtkegel seiner Taschenlampe nach oben und erblickte durch das schmutzige Fenster die Umrisse eines herabstarrenden Gesichts - aber nur eine Sekunde lang. Dann verschwand es. Ein langes spitzes Kinn, eine hohe, stark vorspringende Stirn, eine scheußlich große Nase .
»Die Brechstange - schnell!« rief Dick und stieß mit der Faust gegen den schweren Fensterrahmen. Nach wenigen Minuten schwang er sich auf das flache Dach hinaus. Er ging vorsichtig um einen Schornstein herum, als eine Stimme ›Hände hoch!‹ rief. Dick erinnerte sich, daß Willitt von einem Posten auf dem Dach gesprochen hatte.
»Sind Sie einer von Willitts Leuten?« rief er der Gestalt im dunklen Mantel zu.
»Ja, Sir.«
»Ich bin Captain Shannon von Scotland Yard. Haben Sie hier irgend jemanden gesehen?«
»Nein, Sir.«
»Bestimmt nicht?« fragte Dick betreten.
»Ganz bestimmt nicht, Sir. Einmal klang es, als ob hier jemand ginge, aber das war am andern Ende des Daches.«
Dick ließ den Schein seiner Lampe spielen und entdeckte schließlich einen mit Knoten versehenen Strick, der an einem Schornstein festgebunden war und über den Dachrand hinabhing. Wieder begann er den Mann zu befragen, und dann sagte er plötzlich: »Sie sind Amerikaner?«
»Jawohl, Sir, ich habe drüben auch diese Art von Arbeit gemacht«, erwiderte der Mann.
Mit Steels Hilfe wurden nach langem Suchen zwei Gegenstände auf dem Dach gefunden: eine Patronenhülse aus einer Pistole und ein kleines goldenes Zigarettenetui mit drei Zigaretten. Dick gewahrte mit Befriedigung ein Monogramm in einer Ecke des Etuis.
»Ich glaube, jetzt haben wir den Mann«, sagte er ernst.
21
Dora Elton hörte ihren Mann nach Hause kommen und nahm sich zusammen. Sie fror, obwohl sie ihren Pelzmantel noch anhatte und das Zimmer ganz warm war.
Lacy Marshalt war tot. Auch wenn sie nicht unter der Menge auf dem Portman Square gestanden und es gehört hätte, würde sie es an dem jähen Aufhören einer Art von Besessenheit gemerkt haben - und nun war ihr
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