027 - Das Gesicht im Dunkel
schwiegen beide und sahen einander an. Dann sagte Slick Smith: »Alle Achtung, Shannon! Sie sind wirklich ein tüchtiger Detektiv. Ja, man hat auf mich geschossen - durch das Fenster einer Taxe. Einer von den schäbigen Halunken in Soho hat einen heimlichen Groll auf mich. Hier ist die Nummer des Wagens - falls Sie Nachforschungen anstellen wollen.«
Er holte eine Karte mit einer draufgekritzelten Nummer aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Sein Alibi war gut vorbereitet.
Diese Kaltblütigkeit reizte Dick aufs äußerste. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und er wußte im Grunde seines Herzens, daß der Verlust eines Vermögens in Diamanten ihm nicht so nahe ging wie die Frage, ob Audrey in Gefahr war.
»Smith«, sagte er eindringlich, »wollen Sie mir den Gefallen tun, bis zu einem gewissen Grad offen gegen mich zu sein? Als ich nach Hause fuhr, kam Fräulein Bedford mit. Kennen Sie sie?«
»Ich habe sie einmal gesehen«, erwiderte Smith.
»Nun - ob Sie mit dem Einbruch zu tun hatten, ist mir vollkommen gleichgültig, aber wollen Sie mir eines sagen: nämlich, ob Sie Fräulein Bedford heute abend gesehen haben?«
Smith lächelte übers ganze Gesicht. »Natürlich hab' ich sie gesehen!« sagte er. »Sie stand ja vor zwei Minuten vor diesem Haus.«
Er hatte kaum gesprochen, als Dick auch schon die Treppe hinabstürmte. Auf dem Bürgersteig ging eine Gestalt im Regenmantel auf und ab.
»Audrey«, schrie er auf, und bevor er sich darüber klar war, was er tat, hielt er sie schon in den Armen. »Oh, Audrey, wie wundervoll!« sagte er mit bebender Stimme. »Sie wissen nicht, was diese Minute für mich bedeutet.«
»Hat Herr Smith Ihnen denn nicht gesagt, daß ich hier wartete?« fragte sie, indem sie sich sanft losmachte.
»Hatte er sich denn gedacht, daß ich hier sein würde?« entgegnete Dick erstaunt.
Er brachte sie mit nach oben, und dann begann sie zu erzählen.
»Ich dachte auch, daß Sie es wären, als ein Mann herunterkam und dem Inspektor etwas zuflüsterte. Aber als er die Tür aufriß, sah ich, daß Sie es nicht waren. Dick - es war Malpas! Ich hätte beinahe laut aufgeschrien, aber da berührte meine Hand zufällig das silberne Abzeichen in meiner Tasche, und ich wurde mir meiner Verantwortung als Detektivin bewußt. Ich lief hinter ihm her und verfolgte ihn durch die Panton Street und über den Leicester Square bis zur Coventry Street. Von da aus ging er durch eine Nebengasse, dann am Pavillon-Theater vorüber und die Great Windmill Street hinauf. Ich sah ein Auto stehen, und als er einstieg, beging ich eine Dummheit. Ich schrie: ›Halt!‹ und rannte auf das Auto zu, und zu meiner größten Überraschung fuhr er nicht fort, sondern schaute aus der geschlossenen Limousine heraus und sagte: ›Sind Sie's, Fräulein Bedford? Steigen Sie doch bitte ein! Ich möchte mit Ihnen sprechen.‹ Da ergriff ich die Flucht, und er sprang blitzschnell aus dem Auto heraus. Wie ich ihm entkommen bin, weiß ich selbst nicht. Es war kein Mensch in der Nähe, und ich war in Todesangst! Als ich schon mehrmals um Ecken herumgelaufen war, konnte ich nicht weiter und sah mich um, und gerade als ich überlegte, ob ich einen Polizisten suchen und ihm Bescheid sagen sollte, kam Herr Smith in Sicht. Ich erschrak entsetzlich, denn ich dachte, es wäre Malpas. Und das ist alles! Herr Smith brachte mich dann in Ihre Wohnung, und da trafen wir einen Polizisten, der uns sagte, Sie hätten sich nach mir erkundigt.«
Dick holte tief Atem. »Wie kam es denn, daß Sie in der Nähe waren, Smith?«
»Ich war der jungen Dame gefolgt - was ich vielleicht nicht getan hätte, wenn ich nicht gewußt hätte, daß sie eine von Stormers Angestellten ist«, erwiderte Slick Smith, ohne mit der Wimper zu zucken. »Aber jetzt werden Sie gehen wollen, Captain. Gute Nacht!«
30
Als Audrey am nächsten Morgen erwachte, sah sie sich verwundert in ihrem luxuriös ausgestatteten Zimmer um. Es klopfte, und als sie wieder ins Bett gehuscht war, rollte ein Zimmermädchen einen kleinen Frühstückswagen herein, auf dem neben dem Teller zu ihrer größten Überraschung ein Brief von Dora lag. Ihre Verwunderung steigerte sich noch mehr, als sie die folgenden Zeilen las:
Mein liebes Kind!
Kannst Du mir die gräßlichen Sachen, die ich Dir gesagt und angetan habe, wohl jemals verzeihen? Der Gedanke, daß Du unsertwegen unschuldig ins Gefängnis gingst, läßt mir und Martin keine Ruhe, und wenn ich an meinen gemeinen Angriff auf
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