0273 - Nachts jagen ihn die Rauschgift-Haie
müsste ich sowieso raus.«
Ich nickte stumm. Dieses Gespräch war nicht zu umgehen. Vielleicht schmissen sie mich jetzt raus. Ich hätte es ihnen nicht übel nehmen können. Nur hätte ich dann wieder mühsam nach einer neuen Bleibe für die Dauer meines Auftrages suchen müssen, und das hätte unnötig Zeit gekostet.
Ich setzte mich auf einen Küchenstuhl, während Mr. Lindner Wasser auf den Elektroherd stellte. Als er an den Tisch kam, hielt ich ihm meine Zigarettenschachtel hin.
Er bediente sich und reichte mir Feuer über den Tisch herüber. Sein faltenreiches Gesicht war das Antlitz eines Mannes, der zeit seines Lebens hart arbeiten musste, um sich und seine Familie durchzubringen und noch ein bisschen beruflich voranzukommen. Das Gesicht eines ehrlichen, fleißigen Mannes, wie man es überall auf der Welt finden kann.
»Hören Sie, Sammy«, brummte er, »ich weiß, dass mich das alles nichts angeht. Trotzdem dürfen Sie es mir nicht übel nehmen, dass man sich so seine Gedanken macht. Verdammt noch mal, Sammy, warum will man Sie umbringen?«
Tja, warum? Darüber dachte ich seit einigen Stunden nach.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich ehrlich. »Tatsache: Ich weiß es nicht. Ich habe diesen Mann nie vorher gesehen. Haben die Detectives nichts über ihn gesagt?«
Lindner nickte ernst.
»Doch, Sammy. Das ist ja das Erschreckende. Er heißt Bloyd Richy.«
»Richy?«, rief ich überrascht. »Aus Chicago? Der Killer?«
»Ja, Sie kennen ihn also doch?«
»Nein, nicht persönlich. Ich habe nur von ihm gehört. Er soll einer dieser wenigen Gangster sein, die gegen Bezahlung andere Leute ermorden. Bisher konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Aber soviel ich weiß, vermutet die Polizei, dass Richy für mindestens sechs Morde verantwortlich ist.«
»Ja, so was Ähnliches sagten die Detectives auch. Sammy, mir ist das Ganze furchtbar unangenehm. Meine Frau macht sich Sorgen. Wir haben noch nie etwas mit Gangstern zu tun gehabt. Und wir möchten unsere Ruhe haben. Das müssen Sie verstehen.«
»Natürlich, Mister Lindner. Ich sehe mich also nach einem anderen Zimmer um.«
Er hob verdutzt den kantigen Schädel und sah mich überrascht an.
»Wieso? Gefällt es Ihnen bei uns nicht?«
»Ich dachte, Sie wollten mich an die Luft setzen!«
»Ich? Sie? Warum? Wegen der Geschichte mit dem Killer? Aber man kann doch das Opfer nicht für den Verbrecher verantwortlich machen! Nein, Sammy, ich meine nur - verstehen Sie mich nicht falsch, es ist - also hol’s der Henker! Die Detectives sagten, sie hätten den Eindruck, dass Sie etwas verschweigen, Sammy.«
Ich grinste flüchtig.
»Das mag schon sein, Mister Lindner. Aber ich habe nichts verschwiegen, was mit der Geschichte heute Nacht zusammenhängt. Ansonsten - nun, es hat wohl jeder Mensch ein paar Dinge, die er nicht gleich jedem auf die Nase binden möchte, nicht wahr?«
»Sicher, sicher. Ich dachte nur, wenn Sie der Polizei wegen des Killers wirklich was verschwiegen hätten, Sammy, also da wollte ich sagen, dass es doch besser wäre, wenn Sie es sagten. Das wollte ich Ihnen nur erzählen. So, und jetzt ist das Wasser für den Kaffee fertig.«
Mrs. Lindner erschien auch. Wir tranken zu dritt Kaffee und unterhielten uns über belanglose Dinge.
Als sich Mr. Lindner für seine Arbeit fertigmachte, ging ich in mein Zimmer und setzte mich an den Tisch, um den Bericht an Mr. High zu schreiben, den ich eigentlich schon gestern Abend hätte verfassen müssen.
Dann nahm ich noch eine Mütze voll Schlaf, und um halb zehn stand ich in dem Tabakgeschäft, wo ich mir immer meine Zigaretten kaufte. Außerdem aber ließ ich den Umschlag mit meinem Bericht über den Tisch wandern. Dafür bekam ich ein Päckchen zugeschoben. Ich nahm es, bezahlte meine Zigaretten und machte mich auf den Heimweg. ■
Im Päckchen lag die Tagesration meiner angeblichen Marihuana-Zigaretten, zweihundert Stück. Sie sahen genau wie ›Reefers‹ aus, obwohl sie nichts als stark gewürzten Virginia-Tabak enthielten. Ich schob die beiden Hunderter-Päckchen in je eine Hosentasche und tigerte los. Unterwegs kaufte ich mir eine Morgenzeitung, damit ich was zu tun hatte, bis die ersten Kunden aus dem College zu erwarten waren. Zwar hatten mir die Burschen gestern nach der Prügelei den ganzen Verkaufserlös abgenommen, aber in meinem Zimmer hatte ich immerhin noch den Rest meines Gehalts.
Ich baute mich an einer Straßenecke auf, die keine sechzig Yards vom Haupteingang des Colleges entfernt war,
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