0277 - Der Tod hat viele Gesichter
es wenigstens mit einem Paukenschlag geschehen. Schauspielerische Fähigkeiten und einen gewissen Sinn für Effekte besaß Joe in reichem Maße.
Er nahm sich also vor, den Fall auf eigene Faust zu lösen. Damit würde er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens verdiente er sich die schon ausgeschriebene Belohnung, und zum anderen würden ihm die Bullen nicht allzu viel wegen seines kleinen Schwindels anhängen können, wenn er, der »Blinde«, ihnen den Mörder präsentierte.
»Hier habt ihr ihn!«, würde er zu Petersen sagen. »Ihr habt ihn nicht gefunden, aber ich - der blinde Bettler -ich bringe ihn euch. Dort und dort sitzt er, ihr braucht ihn nur abzuholen.«
Ja so ähnlich würde er es machen. Und am nächsten Tag würden die Zeitungsleute mit dicken Überschriften über den »Helden des Tages«, schreiben, der klüger war als die Polizei.
Wenn Joe einmal einen Entschluss gefasst hatte, pflegte er gründlich vorzugehen. Also setzte er sich erst einmal hin und verfasste einen ausführlichen Augenzeugenbericht. Er vergaß auch nicht, die Nummer des Wagens anzugeben. Er steckte den Bericht in die innere Tasche seines zerlumpten Rockes. Diese Tasche verschloss er wieder mit 12 einer rostigen Sicherheitsnadel und ging dann aus dem Hause.
Auf der Straße machte er noch einmal kehrt.
In der Eile hatte er die dunkle Brille und den weißen Blindenstock vergessen.
Gerade diese beiden Werkzeuge sollten ihm jetzt gute Dienste leisten.
Dann ging er genau nach seinem wohlüberlegten Plan vor.
Er fuhr erst ein paar Stationen weit mit der U-Bahn, suchte sich eine allein stehende Telefonzelle aus und rief das städtische Verkehrsamt an.
»Hier ist das 4. Revier«, sagte er mit verstellter, forsch klingender Stimme. »Geben Sie mir bitte schnell die Anschrift des Besitzers von folgendem Wagen durch: RK-22967. Es handelt sich um einen grünen Ford, Baujahr 61.«
»Augenblick, ich verbinde Sie«, sagte die Stimme. Dann knackte es in der Leitung. Joe wischte den Schweiß von der Stirn.
»Hier spricht Abteilungsleiter Miller«, meldete sich gleich darauf eine männliche Stimme. »Wer ist dort?«
Joe wiederholte seinen eingelernten Spruch.
Miller antwortete: »Gut, ich lasse die Anschrift ermitteln und rufe Sie gleich wieder an.«
»Nein, nein!«, rief Joe und fing an zu stammeln. »Es ist wichtig - wir sind - es ist nämlich -.«
Dann fasste er sich ein Herz und setzte hinzu.
»Mit dem Wagen wurde soeben ein Verbrechen begangen. Ich brauche die Anschrift sofort. Geben Sie mir Ihren Chef!«
Damit hatte er diesen Miller genau am richtigen Punkt getroffen. Wie gut, dass ich keinen Chef habe, dachte Joe erleichtert, als er hörte, wie bereitwillig ihm dieser Abteilungsleiter die gewünschte Auskunft besorgte.
»Es handelt sich um einen gewissen Steve Galling, wohnhaft 480, West 32. Straße.«
»Besten Dafik - das wurde auch Zeit!«, schnaubte Joe und legte auf.
Dann verließ er die Telefonzelle, überquerte die Straßenkreuzung mit der Unterstützung eines hilfreichen jungen Mannes und tastete sich auf der anderen Seite fort.
Einige Zeit später stieß er auf die 32. Straße.
Joe bog hier nach Westen ein und tastete sich vorsichtig - wie er meinte - die Straße entlang, an der Pennsylvania Station vorbei, auf den North River zu.
Nach fast einer Stunde hatte Joe die gesuchte Hausnummer erreicht.
Er ging erst einmal an dem Haus vorbei, als interessiere es ihn überhaupt nicht.
Dabei warf er einen verstohlenen Blick durch das geöffnete Tor auf einen anscheinend leeren Hof.
Dann setzte er sich auf die Bordsteinkante und nahm den Hut ab.
Das war die letzte Bewegung, die »Blind Joe« in seinem Leben machte.
Er spürte nur noch vom Rücken her einen unbeschreiblichen heißen Schmerz durch seine Brust fahren, dann war es vorbei.
Steve Galling winkte seinen Gorilla herbei.
»Das war doch der Kerl, dem du nachgegangen bist?«
»Ja, Boss, fast zwei Stunden lang. Er wohnt ziemlich genau gegenüber der Telefonzelle - na, du weißt schon. Aber er ist blind - kann höchstens das verdammte Rattern der Spritze gehört haben.«
»Genügt auch. Woher weiß der Kerl meine Adresse. Hat ein Vögelchen gezwitschert? Na, Tarzan?«
Tarzan wand und drehte sich unter dem drohenden Blick.
Zum Glück war die Straße aber doch nicht so unbelebt, wie es zuerst den Anschein hatte.
Ein Pärchen kam die Straße entlang.
»Los, fass an«, zischte Galling und packte Joe an den Schultern. Tarzan nahm die Beine.
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