0277 - Im Penthouse der Angst
hinter mir aus dem Dunkel.
»Verdammt, wenn ich das meiner Frau erzähle…«
»Nichts erzählen Sie, gar nichts«, schimpfte Tanner. »Was Sie hier gesehen haben, Gentlemen, ist ein Betriebsgeheimnis!«
Die Männer schwiegen, sie hatten verstanden. Dafür hörte ich Schritte. Es war nur ein Mann, der sich mir langsam näherte. Ohne mich umzublicken, wußte ich genau, daß es nur Tanner sein konnte, der an mich herantrat.
Ich hatte mich nicht geirrt. Neben mir blieb der Chiefinspektor mit dem Hut stehen und starrte auf den Toten.
»Und?« fragte er.
»Wieso und?«
»Haben Sie eine Erklärung, Sinclair?«
»Nein. Wie sollte ich?«
»Sie befassen sich doch laufend mit solchen Fällen.«
Ich lachte. »Fälle ist gut, mein Lieber. Sogar sehr gut. Aber ich bin ebenso schlau wie Sie. Eigentlich müßten Sie sogar schlauer sein, mein lieber Kollege.«
»Wieso das denn?«
»Sie waren eher hier.«
»Das hat damit nichts zu tun. Fragen Sie mal Ihren chinesischen Kollegen, der hat doch den Toten gefunden.«
»Suko? Das wußte ich nicht.«
»Und wieso sind Sie hier?«
»Spielt im Augenblick keine Rolle. Aber wo steckt er denn?«
»Ihr Freund ist ins Haus gegangen.« Tanner deutete auf die Fassade der Rückseite. »Da wollte er etwas herausfinden.«
»Und wen besucht er?«
»Bin ich Jesus?«
Ich grinste. »Nein, das nicht.«
»Da sehen Sie.«
»Aber Jesus ritt auf einem Pferd, und das war noch ein Esel, mein lieber Tanner.«
Wir konnten es beide nicht lassen, uns gegenseitig aufzuziehen.
Es lockerte die Atmosphäre immer auf. Doch der Spaß war vorbei.
Was wir hier erlebt hatten, war blutiger Ernst. Ich kniete mich hin und untersuchte den Toten dort, wo ich ihn mit meinem geweihten Silberkreuz berührt hatte.
Auch Tanner hatte sich gebückt. Da der Schwarze im zentralen Licht der Scheinwerfer lag, konnten wir fast jede Einzelheit erkennen. Auch den Fleck auf seiner Wange.
Dort war die Haut wie weggeschmolzen. Allerdings hatte sie sich nicht schwarz verfärbt, sondern war zu einer hellen Masse geworden, die fast die gesamte Breite der Wange einnahm.
Etwas wunderte uns beide. Tanner sprach es aus. »Da rinnt nicht einmal ein Tropfen Blut.«
»Genau«, erwiderte ich. »Mir scheint es, daß die Leiche völlig blutleer ist.«
Ich beugte den Kopf noch tiefer und erkannte dort, wo die Haut nicht mehr zu sehen war, einen hellen Splitter.
Ein wenig schluckte ich schon. Es traf mich immer hart, wenn ich mit Dingen konfrontiert wurde, für die ich keine normale Erklärung hatte. Welche Magie hier im Spiel war, konnte ich nicht einmal erraten. Der Tote war ein Neger. Vielleicht stieß ich wieder einmal auf eine finstere afrikanische Magie, die ich ja schon einmal erlebt hatte, als es gegen Tricia di Monti, die Frau mit dem Dämonendolch, ging. [1] Hinter dieses Rätsel war ich nie voll und ganz gestiegen.
»Ratlos?« fragte mich der Chiefinspetor.
»Leider ja.«
»Also schleppen wir den Toten ab.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Mein Finger wies auf den aus der Stirn ragenden Pfeilschaft.
»Schauen Sie genau hin, mein lieber Tanner. Dieser Pfeil mit den beiden dunklen Federn muß eine Bedeutung haben.«
»Sicher. Als Mordwaffe.«
»Auch«, schränkte ich ein. »Es kann aber auch ein magisches Motiv dahinterstecken.«
»Wie wollen Sie das denn herausfinden?«
»Indem ich ihm den Pfeil aus der Stirn ziehe.«
Tanner zuckte zusammen. »Mann, Sinclair, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Sie können doch nicht die Mordwaffe entfernen. Das müßten gerade Sie am besten wissen.«
»Dies hier ist ein ungewöhnlicher Fall, der auch ungewöhnliche Maßnahmen erfordert«, erklärte ich. »Passen Sie auf, Tanner!« Ich hatte bereits meinen Arm ausgestreckt und näherte mich mit zwei Fingern dem Pfeilschaft. Eisern hielt ich ihn fest. Ich wußte selbst, daß es ein Risiko in sich barg, wenn ich den Pfeil jetzt herauszog, aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich mußte es probieren.
Hoffentlich hatte er keine Widerhaken, die sich festgesetzt hatten, dann würde er unter Umständen abbrechen.
Mit einem kurzen, aber heftigen Ruck zog ich den Pfeil aus der Stirn des Toten.
Nein, er brach nicht ab, ich hielt ihn in der Hand, und gemeinsam mit Chiefinspektor Tanner starrte ich die Leiche an.
Wir schauten nur in das Gesicht. Einige Sekunden vergingen, ohne daß eine Reaktion erfolgte, bis sich die Haut um den Mund herum plötzlich spannte.
»Der lebt!« ächzte Tanner und zuckte
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