028 - Das Monster und die Schöne
tatsächlich Kiwibin gesehen. »Wer ist dieser geheimnisvolle Kiwibin?«
»Das wird er Ihnen selbst erzählen. Ich treffe ihn täglich zweimal. Mittags und um Mitternacht. Unser Treffpunkt befindet sich außerhalb des Dorfes. Sie können ihn nicht verfehlen. Es ist ganz, in der Nähe von Tanjas Haus. Etwa hundert Meter von Tanjas Haus entfernt führt ein schmaler Weg zu einem kleinen Wäldchen. Sie durchqueren das Wäldchen, und nach etwa dreihundert Metern kommt eine Baumgruppe. Dort treffe ich mich mit Kiwibin. Ich würde vorschlagen, daß Sie heute mit mir hingehen. Er wird Ihnen auf alle Ihre Fragen Antwort geben.«
»Das hoffe ich«, brummte ich grimmig.
»Ich kann mir Ihren Ärger gut vorstellen, aber es blieb uns keine andere Wahl. Sie durften die Wahrheit nicht erfahren. Außerdem war es besonders wichtig, daß …« Er griff sich plötzlich an die Stirn und stöhnte.
»Was haben Sie?«
»Kopfschmerzen.« Schweiß stand auf seiner Stirn. »Ganz entsetzliche Schmerzen. Ich glaube, daß mein Kopf platzt. Es ist …« Er schloß die Augen und biß sich auf die Lippen.
Ich hörte das Zufallen einer Tür, stand auf, trat in den Gang hinaus und blieb stehen. Tanja kam auf mich zu. Ihr Gesicht war ausdruckslos, ihr Blick schien durch mich hindurchzugehen.
»Tanja!«
Doch sie achtete nicht auf mich. Sie ging an mir vorbei und trat ins Zimmer ein. Einen Augenblick blieb sie ruhig stehen. Petropov hob den Blick, und seine Augen weiteten sich.
»Nicht!« flehte er.
»Du bist ausersehen«, sagte sie.
»Nein!« schrie Petropov und sprang auf.
Ich ahnte, was nun kommen würde. Tanja drängte Petropov in eine Ecke des Zimmers. Er zitterte am ganzen Leib. Seine Augen waren aufgerissen, und er atmete keuchend.
»Helfen Sie mir, Hunter!« brüllte er.
Das hatte ich sowieso vorgehabt.
»Sie müssen verhindern, daß sie mir den Stirnreifen anlegt!«
Ich sah, daß sich Tanja mit beiden Händen an die Stirn griff. Der Reifen schien sich zu dehnen, und die Luft um sie herum fing zu flimmern an. Mit einem Ruck zog sie den Stirnreifen ab und streckte ihn Petropov entgegen. Das Amulett mit den seltsamen Ornamenten glühte purpurrot.
Petropov konnte sich nicht mehr bewegen. Er stand wie eine Statue da. Tanja beugte sich vor.
Da griff ich ein. Mit zwei Sprüngen stand ich hinter ihr und hob die rechte Hand. Ich legte alle Kraft in meinen Schlag. Die Handkante krachte gegen Tanjas Handgelenk. Ich heulte vor Schmerz auf und taumelte einen Schritt zurück. Mein Schlag hatte keinerlei Wirkung. Tanjas Hand hatte sich nicht bewegt; es war, als hätte ich auf Eis geschlagen. Ich packte Tanja an den Schultern. Kälte strömte durch den Mantel auf mich zu. Ich verkrallte meine Finger in ihrem Mantel und riß mit aller Kraft daran. Die Knöpfe des Mantels sprangen ab, und ich flog zu Boden. Der Mantel bedeckte mich.
Tanja stand nun nackt vor mir und setzte ihre Tätigkeit ungestört fort. Ich rappelte mich hoch, kam aber zu spät. Sie drückte den Stirnreifen Petropov schon auf den Kopf. Das Amulett glühte nicht mehr.
Durch Petropovs Körper lief ein Zittern. Er stand schwankend da, so als wäre er betrunken. Sinnlose Wörter kamen über seine Lippen. Er griff sich an die Stirn und stöhnte: »Ich bin verloren.« Seine Augen blickten mich trübe an.
Tanja hob ihren Mantel auf und legte ihn über die Schultern. Sie achtete weder auf Petropov noch auf mich. Ihre Bewegungen waren steif, als sie an mir vorbei aus dem Zimmer ging.
»Fliehen Sie!« sagte ich.
»Das hat keinen Sinn. Sie würden mich überall finden. Wer den Stirnreifen trägt, ist verloren. Ich habe schon seit einiger Zeit damit gerechnet, als Opfer ausersehen zu werden. Jetzt ist es soweit.«
»Haben Sie Schmerzen, Petropov?«
»Nein.« Er ging zum Tisch, setzte sich, öffnete eine Lade und holte eine Pistole hervor.
»Was haben Sie vor?«
Er lächelte verkrampft und entsicherte die Waffe. »Ich werde mich erschießen.«
»Das können Sie nicht tun!« rief ich und ging auf ihn zu.
Er richtete die Pistole auf mich. »Bleiben Sie stehen!« sagte er kalt. »Mir bleibt keine andere Wahl. In wenigen Minuten wird die Meute hier sein und mich hinausschleppen. Und ich will nicht dem Wijsch geopfert werden.«
»So nehmen Sie doch Vernunft an, Petropov!« sagte ich drängend. »Es muß möglich sein, den Stirnreifen zu entfernen.«
»Gehen Sie zurück und nehmen Sie die Arme hoch!«
Ich bewegte mich nicht.
»Los!« brüllte er. »Zur Wand! Ich zähle bis drei.
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