0281 - Shimadas Mordaugen
Ahnenkalender ansehen«, sagte ich.
Suko deutete auf die Wand. »Er hat den Kampf heil überstanden. Ein kleines Wunder, würde ich sagen.«
Beide schauten wir uns die Tafel an. Sie war ein kleines Kunstwerk. Aus Elfenbein geschnitzt und hatte kaum Ähnlichkeit mit einer normalen Ahnentafel, wie ich sie kannte.
Zwei Gesichter fielen mir besonders auf. Breitflächig waren sie, gleichzeitig fremd. Ich hatte sie schon früher auf Abbildungen gesehen und wußte, daß es sich bei ihnen um die Gesichter der beiden japanischen Urgötter handelte.
Izagani und Izanami! Von diesen beiden stammten Legionen von Göttergeschlechtern ab, und der Tenno von Japan wurde ja heute noch von zahlreichen Menschen seines Landes als Gott verehrt oder ihm gleichgestellt.
»Nimm ihn doch mal ab!« forderte Suko mich auf.
Das tat ich auch. Der kleine Altar hing an einem Haken. Ich hob ihn ab und drehte ihn um.
Da hatten wir ja die Ahnentafel. In sehr kleiner Schrift waren zahlreiche Namen in die Rückseite hineingeschnitzt worden. Sie sagten mir nichts und auch Suko nichts. Als letzten Namen lasen wir den des getöteten Mädchens. Sayana!
»Sie war der letzte Sproß dieser Familie«, meinte Suko. »Und weshalb mußte sie sterben?« Mein Freund atmete prustend aus. »Du stellst heute verdammt haarige Fragen. Wenn sie tatsächlich aus einer alten traditionsreichen Familie stammt, ist es natürlich eine Schande, wie sie ihren Lebensunterhalt verdient hat, wenn man das mal so sagen darf. Man wird sie bestraft haben.«
»Dann muß sie etwas Besonderes gewesen sein. Eine Auserwählte, ohne daß sie es wußte.«
»Kann sein.«
Wenn ich mir die Sachlage so betrachtete, waren wir ebenso schlau wie zuvor. Wir hatten ja eigentlich damit gerechnet, Logan Costello mit diesem Fall in Verbindung bringen zu können. Dies schien doch nicht so zu sein, wahrscheinlich mußten wir an einer völlig entgegengesetzten Stelle suchen.
»Kannst du dir vorstellen, Suko, daß es Ninjas auch in London gibt?«
»Jetzt ja.«
»Und die müßten wir finden!«
»Lebende oder untote Ninjas?«
Ich winkte ab. »Hör auf. Mir reichen die Untoten.«
Vom Flur her hörten wir Lärm. Schwere Schritte polterten die Treppe hoch. Bereits an den Geräuschen erkannte ich, daß es sich dabei um Polizisten handelte.
Es waren tatsächlich die uniformierten Kollegen, die in die Wohnung stürmten. Suko und ich hielten ihnen unsere Ausweise bereits entgegen, so daß es nicht erst zu irgendwelchen Mißverständnissen kommen konnte. Die beiden Beamten starrten auf den Toten. Ihre Gesichter waren blaß geworden. Sie hatten auch das aus dem Hals ragende Schwert gesehen und schüttelten sich.
»Was ist das?«
Wir hoben die Schultern. »Kein normaler Mensch jedenfalls«, erwiderte ich.
»Und im Hof liegt ein verbranntes Bein«, wurde uns berichtet.
»Das wissen wir.«
Die beiden gaben keine Antwort mehr. Ich ordnete an, daß sie bei dem Toten bleiben sollten und machte mich auf die Suche nach einem Telefon, während Suko zum Bentley ging, weil er sich mit Pflaster und Verband aus der Autoapotheke verbinden wollte.
Es war schwer, ein Telefon zu finden. In einer verdreckten Küche eine Etage tiefer entdeckte ich schließlich einen schwarzen Apparat. Ich rief unsere Mordkommission an und verlangte nur die Abtransportspezialisten.
Im Hof umstanden die Neugierigen das Bein. Manche hatten sich schon an das Bild gewöhnt, andere wiederum, die neu hinzukamen, zuckten zusammen, als sie es sahen.
Es war wirklich ein Anblick zum Fürchten. Ich verschaffte mir Bahn, drückte gegen die Wade und hörte wieder das gleiche Knistern wie schon einmal.
Da war einiges unbegreiflich, und wir würden uns sehr anstrengen müssen, um Spuren zu finden, die auf diese geheimnisvollen Ninjas und auch auf Shimada hinwiesen.
Ihn durften wir auf keinen Fall vergessen. Er schien hinter allem zu stehen und den Einsatz zu leiten.
Zwangsläufig dachte ich an Tokata und daran, welche Mühe wir mit dem Samurai des Satans gehabt hatten. Wir selbst hatten ihn nicht einmal erledigt, das war dem Goldenen Samurai vorbehalten, einem seiner Urfeinde.
Er hatte Tokata gezwungen, Harakiri zu begehen und schlug ihm anschließend den Schädel ab.
Die Spuren dieses Falles wiesen auch auf die japanische Mythologie hin, und es war durchaus möglich, daß wir unter Umständen alte Bekannte wiedertrafen.
Vielleicht sogar den Goldenen oder Susanoo, einen ebenfalls gefährlichen Dämon, den ich noch in sehr unangenehmer
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