0286 - Briefe aus der Hölle
Flucht verhelfen.«
»Das ist keine Flucht, Sir.«
»Ich sehe es aber so. Deshalb bleibt der Mörder hier.«
»Sir, Sie werden ihn kaum halten können.«
»Aber Sie, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich bewiesen. Wird Ihnen zwar nicht passen, Sir, ist aber so.«
Die Haut des Mannes wurde noch röter. Er holte einmal tief Luft, und seine drei Vasallen aus der Nickrunde zuckten sicherheitshalber schon jetzt zusammen. »Ich habe hier die Befehlsgewalt. Und ich befehle Ihnen, daß der Mörder im Yard-Building bleibt. Haben Sie mich endlich verstanden?«
»Sicher, Sie haben schließlich laut genug geredet. Nur sind Sie mit Ihrer Behauptung nicht im Recht. Sie kennen die Hintergründe des Falls nicht. Das ist Ihr Pech. Deshalb handeln Sie auf diese Art und Weise, Sir. Kann ich sogar verstehen. Der Mann ist ein Mörder, das streitet keiner ab, aber er hat nicht aus den gleichen Motiven gehandelt wie ein normaler Mörder. Glauben Sie mir!«
Der Chiefsuperintendent holte wieder tief Luft. Noch hielt seine Uniform, bald würde sie platzen. »Wollen Sie etwa behaupten, daß dahinter wieder Ihr komischer Geisterkram steckt, Oberinspektor?«
»Komischer Geisterkram?«
»So ist es.«
In mir stieg auch allmählich die Galle hoch. Dieser Typ hier kanzelte mich öffentlich ab. Das nahm ich ja noch hin. Daß er aber die Gefahr unterschätzte, die von Henry Torry ausging, konnte ich nicht so ohne weiteres unbeachtet lassen. Deshalb versuchte ich es noch einmal. »Sir, hinter diesem Mord steckt mehr, als wir bis jetzt noch vermuten. Es hat jemand seine Hand im Spiel, der…«
»Der Teufel, wie?«
»So ist es.«
»Hören Sie mir mit dem Kleinkram auf. Der Mann bleibt hier und damit fertig. Außerdem sorge ich dafür, daß Sie eine Disziplinarstrafe erhalten.«
»Sir, darf ich Sie auf meine Sondervollmachten aufmerksam machen, die Ihnen ja eigentlich bekannt sein dürften.«
»Das interessiert mich nicht. Hier habe ich das Sagen. Geben Sie den Gefangenen freiwillig her?«
Ich schaute auf den Uniformierten und sah mir ebenfalls Henry Torry an. Um dessen Lippen zuckte ein feines Lächeln. Er hatte alles verstanden, und besser konnte es für ihn überhaupt nicht laufen. Verflucht, was sollte ich tun? Er ließ sich nicht einfach festnehmen, der Teufel steuerte ihn, und er würde die entsprechenden Gegenmaßnahmen ergreifen.
Ich versuchte es ein letztes Mal. »Sir, dieser Mann wird Ihnen immer entwischen. Sie können ihn nicht halten!«
»Festnehmen!« schnarrte Nolan.
Ich ging zurück. Schweiß hatte sich auf meiner Stirn gebildet. Zwei Beamte lösten sich aus dem Hintergrund und kamen auf Torry zu.
Der Mörder stand wie in Demut erstarrt. Er machte überhaupt nicht den Eindruck, als würde er Widerstand leisten.
Ich wußte es besser, und ich ahnte auch Schlimmes.
Zuerst geschah nichts. Der Mann ließ sich sogar anfassen. Als die Polizisten ihn jedoch herumdrehen wollten, da reagierte er. Seine Arme fuhren blitzschnell zusammen, und im nächsten Augenblick krachten die beiden Beamten gegeneinander.
Ich hörte das Klatschen, und sofort war der Teufel los. Da schrien alle durcheinander, während Torry die Übersicht behielt und sich auf seinen eigentlichen Gegner konzentrierte.
Das war ich.
Er schleuderte mir die Männer noch entgegen, bevor er mit langen, geschmeidigen Sprüngen dem Ausgang zühetzte, durch den er auf unseren Parkplatz gelangen konnte.
Im Nu war die Entfernung zwischen uns so groß, daß ihn mein Kreuz durch einen gezielten Wurf nicht erreicht hätte, so mußte ich zu Fuß die Verfolgung aufnehmen, nachdem ich über die Kollegen gesprungen war.
»Feuer!«
Die Stimme des Chiefsuperintendenten übertönte alle anderen Geräusche. Waffen krachten, Kugeln heulten, und die Echos brachen sich an den kahlen Wänden.
Ob Torry erwischt worden war, wußte ich nicht. Jedenfalls behinderten mich die Schüsse bei der Verfolgung. Dennoch jagte ich geduckt los, darauf hoffend, daß die Kollegen so vernünftig waren und nicht schossen, als ich die Verfolgung aufnahm.
Sie feuerten nicht, so daß es mir gelang, den Ausgang zu erreichen und auf den Hof zu stürmen.
Es brannten die üblichen Lampen, sie schufen helle Inseln. Ich mußte daran denken, daß wir auch hier schon einen Überfall des Spuks erlebt hatten und ich in eine andere Dimension katapultiert worden war. Das alles verblaßte jetzt, denn ich wollte Torry.
Nur - wo konnte er stecken? Es gab genügend Möglichkeiten. Er hätte sich hinter den Wagen oder
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