0288 - Dämonen-Orakel
ausschenken ließ, tat seine Wirkung.
Irgendwann schlief Odysseus ein. Der Alarmton im Inneren ertönte, weil eine Horde Betrunkener um das Pferd herumtanzten und in ihrem Taumel öfter mit dem Standbild in Berührung gerieten.
Über die Bildschirmsicht erkannte Odysseus, daß die Nacht fortgeschritten war und der Mond bereits sein mildes Licht über die Häuser und Palaste von Troja ergoß.
In den Gassen war es still geworden. Die Trojaner lagen in ihren Häusern und schliefen ihren Rausch aus. Nur oben auf Ilion, der Königsburg, ging es beim Siegesbankett noch hoch her.
Odysseus sah, daß sich die tanzenden Betrunkenen zerstreuten. Nur einer von ihnen blieb, offensichtlich von der Wirkung des Weins niedergeworfen, liegen. Über das Gesicht des Fürsten von Ithaka huschte ein befriedigtes Grinsen als er sah, daß sich der Betrunkene erhob, sowie der Platz menschenleer war. Völlig nüchtern ergriff er eine der Fackeln, mit denen die Straßen notdürftig beleuchtet waren. Leichtfüßig sprang er die Treppe hinauf, die zur Zinne über dem skäischen Tor führte und schwenkte einige Atemzüge lang die Fackel über den Kopf. Es war das vereinbarte Signal. Simon, der Verräter, rief die Griechen.
Weit leuchtete der Fackelschein durch die klare Nacht. Kommandos erschollen an den Schiffen der Griechen. Segel wurden ausgerollt. Ruder klatschten ins Wasser. Schnell wie Delphine glitten die Schiffe durch die aufschäumende Flut. An Bord der Briemen standen die Griechen wie ein Rudel beutehungriger Wölfe.
Schneller als erwartet knirschten die Kiele der Briemen in den Sand der trojanischen Küste. Die ausgeruhten Scharen der Männer von Achäa überwanden schnell den Weg vom Strand bis zur Stadt.
***
»Ihr seht sehr unglücklich aus, schöne Frau!« sagte Professor Zamorra und trat neben das Weib, das sich fast hinter einer der mächtigen Säulen verbarg. »Warum feiert Ihr nicht mit, wie die anderen!«
»Wüßtet Ihr meinen Namen, wohledler Cimmerier, Ihr würdet mir eure Verachtung ins Gesicht speien!« sagte die hochgewachsene Frau mit den nachtschwarzen Haaren, die im Gegensatz zu allen anderen Frauen auf Schmuck und ein festliches Kleid verzichtet hatte. Das schlichte Gewand im zarten Rosa betonte ihre Schönheit jedoch mehr als es die juwelenüberladenen Chitons der anderen Frauen beim Fest taten.
Die Siegesfeier im Palast des Priamos hatte seinen Höhepunkt erreicht. Überall lagen betrunkene Trojaner umher, die vom guten Wein des Königs zuviel genossen hatten. Niemand trug mehr eine Waffe. Alle fühlten sich sicher unter dem Schutz des Götterpferdes.
Professor Zamorra und Aurelian, die Ehrengäste des Banketts, waren die einzigen, die nur den Rand der Weinschalen mit den Lippen berührten. Die Schwerter trugen sie halb verborgen unter den langen Umhängen.
»Ihr müßt Helena sein, von der unsere Lieder klingen!« sagte Zamorra. Michael Ullich hatte ihm die Schönheit und das Aussehen dieser Frau auf die blumenreichste Art geschildert.
»Ja, ich bin Helena!« sagte die Frau. »Ich bin der Grund für den Krieg. Nur weil ich dem Reiz des eleganten Königssohnes Paris verfiel und ich vom Hof des Menelaos mehr entfloh als geraubt wurde!«
»Macht Euch nichts vor, Helena!« unterbrach sie Aurelian. »Troja versperrt die Seewege nach Kolchis. Außerdem ist die Stadt sehr reich. Das ist der Grund, warum die Griechen den Krieg begannen. Alles andere ist nur ein Vorwand, um die Krieger zu mobilisieren und ihnen zu erzählen, daß die Götter auf ihrer Seite sind. Kein Krieg wird in Wahrheit aus ethischen Gründen geführt. Immer wieder ist es die Gier nach Macht oder nach Gold!«
»Ich kann nicht glauben, daß die Griechen abgezogen sind!« sagte Helena leise. »Sie kommen gewiß zurück!«
»Ja, ganz sicher!« nickte Zamorra. »Und nur wir können es verhindern. Ich weiß, daß du den Eingang zum Tempel der Hekate unter dem Palast kennst!«
»Paris war Priester der Hekate!« sagte Helena leise. »Ich sollte den Tod des Geliebten auf dem Altar dieser gräßlichen Gottheit erleben!«
Professor Zamorra nickte. Es war Michael Ullich gewesen, den dort fast das Schicksal ereilt hätte. [3]
»In diesem Tempel liegt das Schicksal von Troja!« erklärte Professor Zamorra. »Wenn du uns den Weg zeigst, gelingt es uns vielleicht, das Verderben aufzuhalten.«
»Die Trojaner haben für mich gekämpft und ihr Leben für mich gegeben!« sagte Helena schlicht. »Folgt mir. Ich führe euch. Auch wenn es mein Leben
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