029 - Der Unheimliche
perverse Veranlagung, Mr. Hallam, aber Sie als Arzt werden das verstehen.«
»Was für ein Verbrechen erwarten Sie hier zu sehen?« fragte Ralf und beobachtete ihn aufmerksam.
»Mord!« war die schnelle Antwort.
»Mord?« Hallam fragte sich, ob der Mann einen schlechten Scherz mache, aber auf dessen unbewegtem Gesicht lag auch nicht die Spur eines Lächelns.
»Mord!« wiederholte Feng Ho befriedigt. »Ich werde dabei sein, wenn Soyoka Sie tötet. Es ist möglich, daß er auch den vorsintflutlichen Mr. Tarn oder die lebhafte Miss Marlowe ermorden wird, aber Sie wird er ganz bestimmt töten.«
Für einen Augenblick überfiel Ralf eine Panik. Der ruhige Ton des Chinesen wirkte wie ein kalter Wasserguß. Endlich fand er seine Stimme wieder.
»Ich begreife!« preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Soll ich das als eine Warnung Soy okas auffassen? Bestellen Sie ihm, daß auch ihm etwas passieren könnte! Verstehen Sie mich? Und das nächstemal, wenn Sie mich wieder verfolgen, gibt es einen Fußtritt. Ist Ihnen das klar, Mister Bachelor of Arts?«
Feng Ho grinste.
»Einen Fußtritt zu bekommen, ist für mich keine neue Erfahrung, gelehrter Herr, denn als armer Chinesenjunge wurde ich oft getreten. Aber jetzt, da ich ein Mann bin, ist das anders - die Leute, die mich treten wollen, verlieren ihre Zehen! So!«
Schneller, als ein Auge zwinkern kann, bückte er sich, Stahl blitzte, und mit der Spitze eines Messers, das wie durch Zauberei in seiner Hand erschienen war, zog er einen langen Strich auf dem Pflaster, keinen Millimeter vor Hallams Schuhspitzen. Schon stand er wieder, das Messer war verschwunden, und das unverändert höfliche Lächeln verzog sein Gesicht, als Ralf mit einem halblauten Schrei zurücksprang.
»Zu große Schnelligkeit verursacht optische Täuschung«, erklärte der Chinese selbstzufrieden. »Wie leicht könnte ein Arzt, der Fußtritte austeilt, ein Verblichener werden und Kränze über sich liegen haben!«
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, stieg in sein Taxi und war schon fort, bevor Ralf sich von seinem Erstaunen erholt hatte.
12
Ralf kam vergeblich, Lou war nicht daheim; Verabredungen einzuhalten war nicht ihre starke Seite. Verärgert fuhr er in seine Wohnung, wo Lou ihn bald anrief. Sie hatte einige Besorgungen gemacht, da sie Elsas Besuch erwartet hatte.
»Die Lauferei hätte ich mir aber sparen können«, murrte sie, »deine Freundin kann heute abend nicht kommen, weil sie zu Hause arbeiten muß.«
»Bist du bei Amery gewesen?«
»Ja, leider! Weißt du, was er zu mir gesagt hat?«
»Ich nehme an, daß er deine fatale Angewohnheit erwähnt hat. Lou, diese Kleptomanie wird dich einmal in Teufels Küche bringen. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach man einige Schmuckdiebstähle in Indien mit deiner Anwesenheit in Zusammenhang gebracht hat. Ich verstehe dich nicht, Lou! Du hast genug Geld zum Leben, warum läßt du dich auf so etwas ein! Jedesmal, wenn ich in der Zeitung die Überschrift ›Ladendiebin vor Gericht‹ lese, schrecke ich zusammen.«
»Sei unbesorgt!« erwiderte sie kurz.
»Was hat Amery sonst noch gesagt?«
»Nur noch, daß er weiß, daß ich deine Frau bin. Es hatte keinen Sinn, es abzuleugnen. Ich jedenfalls habe es ihm nicht gesagt.«
»Und woher soll er es dann wissen, wenn du dich nicht selbst verraten hast?«
»Keine Ahnung, er wußte es eben. Vermutlich läßt er Herbert Mansions beobachten, denn er hat mir genau die Minute genannt, in der du meine Wohnung verlassen hast. Übrigens wollte ich dir noch sagen, daß gestern abend bei mir eingebrochen worden ist, während ich im Theater war.«
»Eingebrochen?« wiederholte er. »Was wurde gestohlen?«
»Das ist das Sonderbare: gar nichts. Mein Schmuckkasten war geöffnet, es fehlt aber nichts. Der Portier glaubt, daß der Einbrecher gestört wurde. Jedenfalls hat er meinen Schreibtisch durchsucht, denn ein kleines Büchlein mit Adressen, das sonst auf den Papieren hegt, war jetzt unter dem Stapel.«
Ralf Hallam dachte schnell nach. War das die Erklärung für Feng Hos Anwesenheit in der Nähe von Herbert Mansions? Beobachtete er Lou und ihn, und hatte er die Durchsuchung durchgeführt?
»Hast du die Polizei benachrichtigt?«
»Nein, das hat keinen Zweck.« Dann fuhr sie ungeduldig fort: »Wann kommt also Elsa Marlowe? Sie scheint etwas zurückhaltend zu sein.«
»Ich gebe dir Bescheid«, versicherte er.
Paul Amery hatte für ihn eine neue Bedeutung erlangt.
13
Kurz vor der
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