029 - Der Unheimliche
aber ich brauche eine ganze Menge, und du mußt mich nach Möglichkeit unterstützen, wenn du nicht willst, daß dein Zuschuß plötzlich aufhört.«
»Was soll das alles bedeuten?« fragte sie mißtrauisch, sie merkte jedoch, daß er es ernst meinte.
»Ich möchte, daß du bis elf Uhr hier bleibst und dann zum Abendessen gehst. Du wolltest doch zum Mispah-Klub? Die Tanzerei wird lange dauern. Bleib bis zum Schluß - das ist um zwei Uhr.«
Sie warf einen argwöhnischen Blick auf ihn.
»Ich verstehe!« meinte sie höhnisch.
»Dem Mädchen wird nichts geschehen, da brauchst du keine Angst zu haben«, versicherte er.
»Selbst das würde mich nicht am Schlaf hindern«, bemerkte sie kaltblütig. »Aber ich hoffe, du weißt, wie weit du zu gehen hast. Sie hat einen Brief für dich.«
Er öffnete erstaunt den Mund.
»Einen Brief für mich?«
»Das Mädchen fand ihn heute früh unter ihrem Kissen. Die Anschrift lautet ›An Dr. Ralf Hallam‹; es ist Amerys Handschrift. Oben auf dem Umschlag stehen die Worte: ›Im Falle dringender Not zu benutzen!‹ Du wirst so blaß, Ralf. Weiß er etwas über dich?«
»Nichts!« erwiderte er grob. »Woher weißt du überhaupt, daß der Brief von Amery stammt?«
»Wenn ich es nicht wüßte, könnte ich es erraten. Unter die Bemerkung hat er seine Anfangsbuchstaben gesetzt -P. A. Sei bloß vorsichtig, ich warne dich!«
»Ich versichere dir nochmals, Elsa wird nichts geschehen. Ich bin gar nicht an ihr interessiert, ich brauche etwas anderes. Ich habe mir alles gut überlegt, Lou. Angenommen, ich käme mitten in der Nacht, dann wäre sie natürlich beunruhigt, doch wenn ich ihr sage, daß ich nur die Kiste ansehen will, wird sie sich zufriedengeben.«
»Was ist in der Kiste?« fragte Lou neugierig. »Ich habe neulich nachgesehen, aber der untere Teil ist festgeschraubt . . . Soll ich wirklich bis elf Uhr hierbleiben? Ist das nötig?«
Er nickte.
»Es ist besser, wenn sie denkt, daß du hier bist. Was macht sie?«
»Hört Radio«, erwiderte Lou ungeduldig. »Also gut, ich will tun, was du willst. Brauchst du etwas?«
»Nur den Wohnungsschlüssel. Sie hat meinen.« Mrs. Hallam gab ihm den Schlüssel, den er einsteckte. Dann hielt sie ihn zurück:
»Warte! Bevor du gehst, möchte ich noch etwas mehr über diesen Krach und Zusammenbruch hören, über den du vorhin gesprochen hast, Ralf. Was treibst du? Rauschgiftschmuggel?«
»Wie hast du das erraten?«
»Weil es das einzige Verbrechen ist, das mit so wenig Gefahr verbunden ist, daß du es auf dich nehmen würdest«, antwortete sie ruhig. »Tarn war doch auch dabei? Ich dachte es mir. Und Tupperwill?«
»Tupperwill?« bemerkte Hallam verächtlich. »Ich glaube nicht, daß er zuviel Geld hat, aber sonst ist bei ihm alles in Ordnung.« Lou lachte.
»Das ist auch meine Ansicht - ich meine, daß er nicht zuviel Geld hat. Selbst, wenn er seine Bücher in Gold einbindet . . .« Sie unterbrach sich selbst, als er sie forschend anblickte. »Ich habe in seinem Bücherschrank nachgesehen«, erklärte sie, nicht im mindesten verlegen.
»Er besitzt allerdings ausschließlich klassische Bücher.«
Mrs. Hallam begleitete ihn zur Tür und schloß sie hinter ihm. Dann ging sie in ihr Schlafzimmer zurück, öffnete eine kleine Tischlade und entnahm ihr einen kleinen goldenen Gegenstand, den man für ein flaches Zigarettenetui halten konnte, der aber ein Notizbuch mit goldener Einbanddecke war. Sie wendete die dünnen Blätter mit einem verächtlichen Lächeln um und warf dann das Buch in die Lade zurück. Sie hatte sich umsonst einer großen Gefahr ausgesetzt, und sie empfand mehr Befriedigung und Stolz, als sie den diamantenen Stern betrachtete, den sie in Indien ›erworben‹ hatte.
Um zehn Uhr klopfte sie an Elsas Zimmertür und trat ohne Aufforderung ein, denn sie wußte schon aus Erfahrung, daß ein enthusiastischer Radiohörer nichts anderes als die Musik hört. Elsa drehte sich lächelnd um.
»Es ist wunderbar! Ich wundere mich, Mrs. Hallam, daß Sie nicht auch zuhören wollen. Gehen Sie aus?«
»Ich weiß es noch nicht, ich habe mich noch nicht ganz entschlossen. Fühlen Sie sich hier behaglich?«
»Durchaus!« versetzte Elsa. »Sorgen Sie sich nicht um mich, Mrs. Hallam, ich glaube, ich habe eine passende Wohnung gefunden. Ich möchte Ihnen auch nicht einen Tag länger als nötig zur Last fallen.«
»Aber Sie sind mir stets willkommen«, antwortete Lou Hallam heuchlerisch. »Bleiben Sie nur so lange, wie Sie wollen, meine
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