0293 - Im Netz des Vampirs
Phrase: Ein Schock kann manchmal heilsam sein kam ihm in den Sinn. Aber von solchen Sprüchen hielt er nicht viel. Daß sich hier mal einer zufällig zu bewahrheiten schien, machte ihm natürlich nichts aus.
»Was jetzt?« fragte das Mädchen, als sie schon ein ganzes Stück den Korridor entlanggeschritten waren.
»Zurück können wir vorläufig nicht mehr«, sagte Zamorra in fast scherzhaftem Tonfall, obwohl er nicht sicher war, ob Muriel darauf bereits reagieren konnte. »Leider beherrsche ich die Aufzüge dieses Hauses nicht so ganz. Unser böser Feind ist uns da um einiges voraus. Aber schließlich ist es ja auch sein Heim.«
Muriel sah ihn etwas verständnislos an. Es stellte sich heraus, daß sie in ihrem verwirrten Zustand nichts von Sanguinus’ Botschaft mitbekommen hatte, kurz vor Erreichen dieser Etage.
Zamorra berichtete ihr in knappen Worten, was vorgefallen war. Als er fertig war, hatten sie gerade eine Biegung erreicht. Muriel blieb unvermittelt stehen und blickte zurück.
»Wir… Wir können ihn doch nicht einfach so liegenlassen«, preßte sie hervor.
»Werden wir auch nicht, keine Angst«, versprach Zamorra. »Wir kommen zurück. Zùnächst aber«, er legte eine kleine Kunstpause ein, »müssen wir uns um uns selbst kümmern. So hart es klingt, Mädchen, aber die Lebenden gehen vor. Ich hoffe, du verstehst, wie ich es meine.«
Muriel nickte, nicht ganz überzeugt. Aber sie gab sich sichtlich Mühe, Zamorra zu verstehen. Wie auch er es umgekehrt versuchte. Dabei dachte er aber auch an Nicole und Raffael, die unten in der Götzenhalle zurückgeblieben waren. Wohl war ihm nicht bei dem Gedanken, weil es so aussah, als habe es Sanguinus nur darauf angelegt, sie zu trennen und ihren Widerstand dadurch zu schwächen.
Der Dämon war nicht dumm.
Leider.
»Komm«, sagte Zamorra und landete fast zwangsläufig beim »Du«.
Sie gingen um die Gangbiegung -und Sanguinus in die Falle!
***
»Raffael!« schrie Nicole verzweifelt. Kräftige Fäuste drückten sie brutal gegen den kalten Stein eines der Opferaltare. Warmer, übelriechender Atem aus bösartig verzerrten Gesichtern streifte sie. Die Eingeborenen mit den Symbionten im Genick waren über sie hergefallen. Dabei hatte Raf-. fael einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen und war ohnmächtig geworden. Nicole war etwas glimpflicher davongekommen. Doch auch sie war von vier Eingeborenen auf einmal überwältigt und zu einem der Blutaltäre geschleppt worden.
»Raffael!« rief sie erneut.
Das schien einem der Dämonendiener nicht zu passen. Rücksichtslos preßte er Nicole die Hand auf den Mund. So fest, daß sie sekundenlang fürchtete, ihre Lippen würden unter dem schmerzhaften Druck aufplatzen.
Sie beschloß, die Symbiontenträger nicht unnötig zu reizen. Von Raffael kam ohnehin keine Antwort, er schien immer noch besinnungslos zu sein. Und von ihrem Platz aus vermochte sie ihn nicht zu sehen. Er war zu einem anderen Altar getragen worden und nun wie sie von einem guten Dutzend mißgestalteter Geschöpfe umringt.
Der Druck auf ihren Mund ließ langsam nach. Statt dessen wurden Nicoles Arme und Beine fest gegen den kühlen Stein gepreßt.
Und dann geschah das Unfaßbare.
Aus der muldenförmigen Ausbuchtung der Altaroberfläche wuchs etwas hervor und wand sich istahlhart um ihre Gelenke!
Nicole hob den Kopf und wurde sofort wieder zurückgestoßen. Aber der kurze Augenblick genügte, um zu erkennen, daß es Ausläufer jenes ausgedehnten Netzes waren, die sie unnachgiebig an den Altar banden.
Raffael erging es wahrscheinlich ebenso.
Und damit war klar, was mit ihnen geschehen sollte.
Opfertod, dachte Nicole schaudernd, Sanguinus will unser Blut…!
Plötzlich wichen die abstoßenden Gesichter mit den seelenlosen Augen über ihr zurück. Die Dämonendiener verschwanden aus ihrem Blickfeld, hatten offensichtlich ihren Job erfüllt.
Oder noch nicht ganz?
Nicole drehte den Kopf nach rechts.
Jetzt konnte sie Raffael sehen. Er lag etwa fünf Meter entfernt auf einem gleich hohen Altarstein, das Gesicht ihr zugewandt, aber mit geschlossenen Augen und kaum merklichen Atemzügen. Nicole mußte sekundenlang angestrengt hinsehen, um das schwache Heben und Senken seiner Brust zu erkennen.
Gott sei Dank, er lebte, war aber immer noch ohne Bewußtsein Vielleicht bleibt ihm dadurch sogar einiges erspart, dachte Nicole in völlig ungewohnter Schwarzmalerei. Aber worauf sollte sie in solch einer Situation noch Optimismus aufbauen…?
Nicole
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