0294 - Die Nacht der bestellten Morde
eine Type hate sich Gloria Banter ausgedacht? Wir erlebten eine Überraschung.
»Der Mann war sehr groß, etwa so groß wie Sie, Mr. Cotton«, sagte die Frau und maß mich mit einem abschätzenden Blick. »Er war sehr breit und klotzig gebaut, trug einen langen dunklen Mantel, Rollkragenpullover und einen Hut, den er in den Nacken geschoben hatte. So konnte ich sein Gesicht gut erkennen. Es war sehr breit mit betonten Backenknochen und schien von ungesunder grauer Farbe zu sein. Die Nase war dick und verknorpelt, der Mund wulstlippig und brutal. Über die linke Wange zog sich eine helle Narbe. Die Stirn des Mannes war hoch und eckig, von vielen Querfalten zerfurcht.«
Für einen Augenblick war ich sprachlos. Dann fragte ich: »Können Sie sich an die Augenpartie erinnern?«
Sie dachte sekundenlang nach. »Ich glaube, er hatte dichte graue Augenbrauen. Ja, richtig, sie waren sehr buschig. Über die Farbe der Augen kann ich nichts sagen. Sie lagen sehr tief in den Höhlen. Im ganzen war der Schädel des Mannes knochig und irgendwie ausgemergelt. Wie ein Totenkopf.«
»Die Beschreibung paßt haargenau auf Henry Bondoza«, sagte ich, zu Phil gewandt. »Aber der ist tot!«
»Bondoza?« fragte das Girl. »Ist das nicht der Mann, von dem Sie mir erzählt haben? Mit dem mein Bruder etwas regeln sollte, kurz bevor er verschwand?« Sie blickte von Phil zu mir, verzog das Gesicht und brach plötzlich in ein gutgespieltes hysterisches Schluchzen aus. »Dieser Mörder hat ihn umgebracht. Heute nacht ist er hier eingedrungen. Wahrscheinlich wollte er auch mich und vielleicht auch meinen Vater umbringen. Aber warum nur? Wir kennen diesen Menschen gar nicht. Wir haben nichts mit ihm zu schaffen. Sie müssen uns vor diesem Mörder schützen!«
»Beruhigen Sie sich!« sagte Phil. Dabei gähnte er verstohlen. »Wir werden alles tun, damit Sie nicht in Gefahr kommen. Aber bitte, überlegen Sie jetzt noch einmal, ob Sie sich nicht getäuscht haben!«
»Der Mann, den Sie uns so genau beschreiben, ist nämlich tot«, fügte ich hinzu. »Aber warten Sie! Ich habe hier ein Foto von ihm.« Ich nahm das Bild aus der Brieftasche, das ich mir aus dem Zuchthausarchiv von Sing Sing besorgt hatte, und hielt es Gloria hin.
Sie warf nur einen kurzen Blick darauf. Dann nickte sie. »Ja, das ist er. Es gibt keinen Zweifel.«
Phil meinte: »Mir ist nicht bekannt, daß Bondoza einen Doppelgänger hat.«
»Mir auch nicht.« Und um dem Theater ein Ende zu setzen, sagte ich: »Vielleicht benutzt irgendein Gauner seine Ähnlichkeit mit Bondoza, um Einbrüche zu verüben und die Polizei damit irrezuführen. Henry Bondoza kann es jedenfalls nicht gewesen sein, Miß Banter. Wir selbst haben gesehen, wie er erwürgt und erhängt wurde. Übrigens hat es in allen Zeitungen gestanden.«
Ich sagte nicht, daß ihr Bruder dringend verdächtigt war, dieses Verbrechen und außerdem die Morde an Toonish und Quartor verübt zu haben.
»Wir werden das zuständige Revier der City Police anweisen, des Nachts ständig einen Cop in der Nähe Ihres Hauses patroullieren zu lassen, Miß Banter«, sagte Phil. »Auf diese Weise haben Sie sofort Hilfe, falls wieder bei Ihnen eingebrochen wird.«
Damit verabschiedeten wir uns Auf der Rückfahrt nach Manhattan fragte Phil: »Wäre es nicht doch besser gewesen, dieses raffinierte Weibstück festzunehmen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir wissen ja, daß an der Geschichte kein Wort stimmt, Phil. Und solange sie sich auf freiem Fuß befindet, besteht eine Möglichkeit, daß sie zu Tom Banter Kontakt aufnimmt. Vielleicht erwischen wir ihn dann über sie.«
»Ich durchschaue noch nicht ganz die Zusammenhänge. Warum eigentlich dieses Theater?«
»Ich habe eine Vermutung, Phil.«
»Und die wäre…«
»Nach Bondozas Entlassung aus Sing Sing machte sich zuerst Gloria an ihn heran, um das Versteck des Schmucks zu erfahren. Ihre Aktion schlug fehl. Alsdann trat Thomas Banter in Erscheinung. Er operierte nach einem Plan, den er mit seiner Familie abgesprochen hatte. Er wollte Bondoza so fertigmachen, daß er das Schmuckversteck erfuhr, ihn dann umbringen und die Leiche verschwinden lassen. Er selbst wollte untertauchen und unauffindbar sein. Später sollte ein fingierter Einbruch im Bungalow der Banters verübt werden. Gloria würde behaupten, es sei Bondoza gewesen. Zunächst würde sie den Einbrecher so beschreiben.«
»Du meinst, die Banters wollen auf diese Weise erreichen, daß wir in den Glauben kommen, nicht Banter
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