0294 - Die Nacht der bestellten Morde
gerade erklären, Mr. Cotton. Weder Vater noch ich trinken Tomatensaft. Wir machen uns nichts daraus. Ich wollte ihn also gerade weggießen, da fiel mir Mollie ein. Ich schüttete der Katze etwas Tomatensaft ins Töpfchen und verließ die Küche. Als ich nach etwa einer halben Minute zurückkam, gebärdete sich die Katze wie toll, miaute kläglich, wand sich in Krämpfen und streckte schließlich alle viere von sich.«
»Ich werde den Inhalt der Flasche untersuchen lassen, Miß Banter. Jetzt interessiert mich aber vor allem, ob Sie eine Ahnung haben, wer Sie vergiften wollte. Haben Sie Feinde?«
Gloria Banter schüttelte den Kopf. »Niemand, Mr. Cotton. Ich komme mit allen Menschen gut aus. Ich kann mir auch nicht denken, daß Vater der Anschlag galt. Zwar hat er sich während seiner Zeit als Detektiv sicherlich eine Reihe von Feinden geschaffen — das liegt in der Natur der Sache. Aber warum sollte gerade jetzt jemand einen Mordversuch auf Vater unternehmen? Nein. Ich glaube vielmehr etwas anderes.«
»Und was glauben Sie?«
»Dieser Giftmordversuch hängt mit dem rätselhaften Verschwinden meines Bruders zusammen.«
»Hm.«
»Bestimmt, Mr. Cotton. Es ist doch auffallend. Mein Bruder ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden, und jetzt wird auf uns ein Anschlag verübt.«
»Kennen Sie unter diesem Gesichtspunktjemand, der dafür in Frage käme?«
»Tut mir leid.« Sie zuckte hilflos die Achseln. »Ich habe mich um die Angelegenheiten meines Bruders nie gekümmert.«
»Wann kommt bei Ihnen die Morgenpost, Miß Banter?« fragte ich unvermittelt.
»Gegen acht. Warum?«
»Wie kommt es dann eigentlich, daß Sie das Päckchen erst kurz vor vier Uhr öffneten?«
»Das war gar nicht der Fall, Mr. Cotton. Ich habe das Päckchen gleich heute morgen geöffnet und alles verbrannt, bis auf die Flasche. Aus irgendeinem Grund bin ich davon abgekommen, sie sofort in die Mülltonne zu werfen. Heute nachmittag, als ich es tun wollte, fiel mir dann die Katze ein. Den Rest habe ich Ihnen erzählt.«
»Na schön«, sagte ich. »Kann ich jetzt einen Korken haben, um die Flasche zu verschließen?«
***
Während Phil an diesem Abend die Beschattung der Hehler überwachte, ließ ich durch unsere Chemiker den Tomatensaft prüfen. Ergebnis: Die Brühe enthielt eine große Menge hochgefährlichen Rattengifts. Das Gift konnte man in der Drogerie und in jeder Apotheke kaufen.
Es war inzwischen 9.30 Uhr.
Aus der Kantine ließ ich mir einen Becher Kaffee, zwei Hamburger und — den Geschehnissen zum Trotz — ein Glas Tomatensaft bringen. Nach diesem improvisierten Abendessen holte ich mir meinen dicksten Schal aus dem Garderobenschrank im Flur, versorgte mich mit Zigaretten und ließ mir von unserer Fahrbereitschaft einen grauen Cadillac anweisen.
Als ich im Hof stand, begann es zu schneien. Ich schlug den Mantelkragen hoch, drückte den Hut in die Stirn, klemmte mich hinter das Steuer des Cadillac und brauste los.
Mein Ziel war wieder einmal Babylon.
***
Übernächtigt und müde hockte ich am nächsten Morgen hinter meinem Schreibtisch, als Phil strahlend und ausgeruht das Office betrat, »Wie siehst du denn aus?« fragte er, bekam aber keine Antwort. Denn in diesem Augenblick klingelte das Telefon auf Phils Schreibtisch. Mein Freund meldete sich.
Er sagte: »Morgen, Miß Banter«, lauschte eine Minute und legte die Stirn in Falten. »Wir machen uns sofort auf den Weg, Miß Banter. Bis gleich.«
Phil legte auf. »Stell dir vor, Jerry! Diese Nacht wurde bei Miß Banter eingebrochen.«
Ich grinste. »Auf die Nachricht habe ich gewartet.«
»Wieso?«
»Ich war heute nacht draußen in Babylon.«
»Na und? Hast du etwa eingebrochen?«
»Unsinn. Ich dachte nicht daran. Aber ich habe etwas anders getan, nämlich das Haus bewacht.«
»Dann hättest du doch den Einbrecher sehen müssen.«
»Das habe ich auch.«
Phil sah mich einen Augenblick prüfend an und meinte dann vorsichtig: »Vielleicht solltest du dich mal wieder richtig ausschlafen, Jerry. Du hast deine Nerven in letzter Zeit zu…«
»Mach dich nicht lächerlich, Phil! Ich bin weder übergeschnappt noch sonst irgendwie verwirrt. Ich habe den Einbrecher tatsächlich gesehen. Aber es war kein Einbrecher, sondern eine Einbrecherin, nämlich Gloria Banter selbst.«
»Das ist ja toll. Aber warum tut sie das?«
»Du weißt noch nicht alles, Phil.« Ich erzählte ihm die Sache mit dem Tomatensaft und fügte hinzu: »Ich weiß selbst nicht genau, wodurch ich
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