0295 - Tal der vergessenen Toten
Fall aufzuklären. Geben Sie bitte genau auf den Jungen acht.«
Ihr Blick schwankte zwischen Will und mir. »Glauben Sie denn, daß ihm etwas geschehen könnte?«
»Möglich ist alles.«
»Wieso?«
Will redete jetzt. »Der Mörder sucht seine Hand. Und er wird sich unter Umständen an die Person halten, die mehr über den Verbleib weiß.«
»Dann müßten wir ja Polizeischutz haben…«
»Wenn Sie niemandem öffnen, wird es schon klappen. Wie gesagt, es ist nur eine Vermutung.« Will schaute auf die Uhr. »Jetzt wird es Zeit. Sollen wir Herrn Äcker grüßen?«
»Nein, bitte nicht.«
»Gut, dann bis später vielleicht.«
Wir verließen das Haus und stiegen wieder in den silbergrauen Manta. Der Motor orgelte, und wir vernahmen das hohe Singen des Keilriemens, der nicht richtig gespannt war.
»Wird Zeit, daß du dir einen neuen Wagen kaufst«, sagte ich zum wiederholten Male.
»Da warten wir mal bis zum nächsten Jahr«, gab Will zurück und legte einen Kavalierstart hin, der mich gegen die Rückenlehne drückte. Jetzt wollte er es mir aber zeigen, der gute Will, und er amüsierte sich über mein Grinsen…
***
Wir fuhren über Wege, die das Abbaugelände durchschnitten. Sie waren zwar asphaltiert, aber stark verschlammt.
Einmal begleitete uns ein Förderband. Wie eine graue, schnurgerade Riesenschlange kam es uns vor, und in den aufgerissenen Tälern sahen wir die Menschen mit den gigantischen Maschinen arbeiten. Gegen diese Wunderwerke der Technik wirkten die Arbeiter fast klein wie Ameisen.
Wenn uns hochbeladene Lastwagen entgegenkamen, mußten wir immer scharf rechts an den Fahrbahnrand, um eine Kollision zu vermeiden, denn die Fahrer fuhren wirklich einen heißen Reifen. Sie brauchten auf den Straßen auch kaum mit normalem Verkehr zu rechnen.
Wir gelangten an eine Kreuzung. Von rechts kam ein beladener Lastwagen. Will stoppte. Ich schaute auf den Plan. »Links geht es her«, sagte ich dem Kommissar.
»Okay.«
Tiefer stachen wir in das Gelände hinein. Ein immens großer Schaufelradbagger geriet in unser Sichtfeld. Er sah aus wie ein überdimensionales Riesenrad, drehte sich und holte gewaltige Berge von Erde aus dem Boden. In jeder Schaufel hätte mindestens ein Pkw Platz gehabt.
»Das ist wirklich das Energiezentrum Europas«, lobte Will Mallmann diesen Landstrich.
Ich nickte beeindruckt.
Schon bald war der Bagger verschwunden. Ich sah ihn nur noch als stählernes Gerüst im Außenspiegel. Die Gegend änderte ihr Bild. Wir gerieten in ein Gelände, das für den Tagebau erschlossen wurde.
Große Wiesenflächen breiteten sich vor unseren Augen aus. Wir sahen vereinzelt stehende Gehöfte, die allesamt leer und verlassen waren. Man hatte sie schon räumen lassen.
Die Sonne stieg höher. Nebelwolken dampften weg. In einigen Stunden würden sie wiederkommen und die Umgebung mit ihren grauen »Tüchern« bedecken.
War das dann die Zeit der Zombies?
Ich hoffte es nicht, atmete tief durch und folgte der Straße mit meinen Blicken. Will lenkte den Manta in eine Kurve. Ein Waldstück nahm uns die Sicht, dann sahen wir leere Häuser, aus deren Mauerwerk die scheibenlosen Fenster wie viereckige Augen schauten.
»Das ist das Dorf«, sagte Will.
»Brauchen wir nur noch den Friedhof zu finden.«
»Kein Problem.« Will Mallmann deutete nach links. »Da haben wir den Platz schon.«
In der Nähe parkten einige Wagen. Auch Menschen sahen wir. Sie bevölkerten den Friedhof und waren dabei, Gräber auszuheben. Will lenkte den Wagen dorthin, wo die anderen Fahrzeuge parkten.
Wir wurden beobachtet, als wir ausstiegen und auf die Gruppe der Männer zugingen.
Zwei Leute standen dort, die keine Arbeitskleidung trugen, sondern helle Staubmantel.
Der Kleinere der beiden ging ein paar Schritte vor, blieb stehen und schaute uns an.
Er war ziemlich klein, schon alter, hatte ein rundes Gesicht und eine Halbglatze. Dabei wippte er ein wenig auf den Zehenspitzen. Seine schwarzen Schuhe zeigten lehmige Schmutzränder.
»Was wollen Sie, meine Herren?«
Will hatte seinen Ausweis gezückt. »Kommissar Mallmann«, stellte er sich vor. »Wir suchen Herrn Matthias Äcker.«
»Der bin ich.«
Will lächelte. »Das ist ausgezeichnet.« Er drehte sich zu mir um und stellte mich vor.
»Engländer?« fragte Äcker.
»Ja.«
»Kollegenaustausch, wie?«
»So ungefähr«, gab ich zu.
»Kommen Sie zur Sache«, sagte Äcker, der sich hier wie ein kleiner König aufspielte. »Was hat Sie hergeführt?«
»Erstens ein
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