0297 - Der Verräter
nicht«, gab Myxin ehrlich zu.
Mandraka lächelte. »Ich will es dir erklären, obwohl wir damals Feinde waren. Du hast eine Wandlung durchgemacht und zählst nicht mehr zu den Schwarzblütlern, das ist gut. Unsere Chancen wurden damals geringer. Wir schafften es nur noch selten, an das Blut der Dämonen heranzukommen. Deshalb griffen wir zu einem anderen Mittel. Wir suchten uns eine neue Heimat. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß Atlantis sinken würde. Die Welt sah noch nicht so aus wie jetzt, als wir Atlantis verließen, um nach Norden zu gehen. Wir fanden diesen Ort, dieses Land, und wir schaufelten uns Gräber.«
»Wo?«
»Du stehst in einem der Gräber. In dieser Erde begruben wir uns selbst. Dabei spielten unsere magischen Kenntnisse eine sehr große Rolle. Wir füllten den Boden damit, und wir hatten soviel Zeit. Die Jahre vergingen, das Land wurde besiedelt, man baute Häuser und legte hier einen Friedhof an. Irgendwie schienen die Menschen gespürt zu haben, daß der Platz unheimlich war, deshalb verscharrten sie auf dem Friedhof nur Gesetzesbrecher und fremde Soldaten. Die vermoderten im Laufe der Jahre. Dann kam jemand und baute ein Haus. Es war ein Ehepaar mit einer jungen Tochter und mit diesem Ehepaar nahmen wir Verbindung auf.«
»Meine Eltern!« rief Edda.
»Genau, mein Kind, es waren deine Eltern. Sie spielten sogar mit, denn wir versprachen ihnen ein ebenso langes Leben, wie wir es hinter uns hatten.«
Edda schluchzte und redete zugleich. »Das kann ich nicht glauben. Nein, das will ich nicht…«
»Es stimmt!« sagte Mandraka.
Das Mädchen fuhr herum. Dabei blieb Edda sitzen. Sie funkelte den Anführer der Schwarzblut-Vampire an. »Ich hätte etwas merken müssen. Sie hätten mit mir darüber gesprochen…«
»Wir hatten es verboten!«
»Nein, nein!« Edda schüttelte den Kopf. »Ihr könnt mich hier nicht fertigmachen. Ich glaube euch nicht. Ich sah, wie meine Eltern starben. Ich habe sie selbst beerdigt. Auf diesem Friedhof, wie sie es immer haben wollten…« Sie stockte. Ihre Augen wurden groß. Ein Zeichen, daß ihr etwas eingefallen war.
»Nun?« fragte Mandraka lauernd.
»Es… es ist unmöglich …« Zweifel schwangen in der Stimme des Mädchens mit.
»Deine Eltern bestanden darauf, hier begraben zu werden, weil sie genau wußten, daß sie nur dann für immer leben konnten. Hast du ihre Gräber in der letzten Zeit besucht?«
»Jeden Tag!«
»Auch heute?«
»Sicher, am Morgen…«
Mandraka beugte sich vor. »Jetzt haben wir Nacht!« flüsterte er.
»Eine gespenstische, unheimliche Nacht, wie du sicherlich bemerkt hast. Und in der Nacht werden die schwarzmagischen Kräfte frei. Da haben sie ihre Stunde, und auch deine Eltern liegen nicht mehr in den Särgen. Wir holten sie hervor und stellten sie in das…«
»Hör auf!« schrie Edda. »Verdammt noch mal, hör auf! Ich will davon nichts wissen. Sie sind tot!«
»Wirklich?«
»Dann schau nach links!« Mandraka lachte. Er zog sich wieder zurück, und sein Gesicht, noch vor Sekunden vom Flammenschein umspielt, verschwand in der Düsternis.
Edda hatte einen Befehl bekommen. Sie führte ihn aus und drehte ihren Kopf.
Da sah sie das Unglaubliche.
Aus dem Dunkel lösten sich Gestalten. Zunächst waren es nur Bewegungen in der Finsternis, doch mit viel Fantasie konnte sich Edda vorstellen, daß es Menschen waren, die sich dem Flammenkreis allmählich näherten und vom Widerschein erfaßt wurden, der über zwei Körper geisterhaft hinwegglitt.
Über den Körper eines Mannes und den einer Frau.
Eddas Eltern!
***
Das Mädchen glaubte, ersticken zu müssen. Zu schlimm war die Tatsache, hier ihren toten Eltern gegenüberzustehen. Mandraka hatte von lebenden Personen gesprochen, aber lebten sie denn tatsächlich? War ihr Gang nicht so seltsam, so unbeholfen, wie der eines Kindes, das seine ersten Gehversuche machte und Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.
Ja, so mußte es sein.
Schaurig, unheimlich. Die Eltern lösten sich aus dem Dunkel. Sie nahmen Konturen an, und die in der Mitte des Kreises sitzende Edda Kiss hatte die Augen weit geöffnet, denn trotz ihrer Flucht wollte sie jede Einzelheit in sich aufnehmen.
Noch deutlicher erinnerte sie sich daran, daß sie – einen alten Brauch folgend – die starren Körper ihrer Eltern in Leinentücher eingewickelt hatte. Es war so Brauchtum bei ihnen, und die Eltern hatten noch kurz vor dem Tod darauf bestanden.
Sie trugen diese Leinentücher nicht mehr. Sie mußten sie
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