0299 - In diesem Zimmer haust die Angst
vollgepumpt. So jedenfalls wirkte es mit seiner seltsam schwammigen grünen Oberfläche, die, obwohl kein Wind wehte, ständig zitterte.
Der See barg ein Geheimnis. Es lauerte noch in der Tiefe, und Myxin erinnerte sich.
Es war von diesem See gesprochen worden. In ihm sollte einer der Großen Alten lauern, aber mit eigenen Augen hatte der kleine Magier ihn noch nie gesehen.
Erst jetzt.
»Sind wir tatsächlich in der Leichenstadt?« wandte er sich zunächst noch an den Schwarzblut-Vampir.
»Wenn ich es dir sage.«
Myxin nickte. »Wo ist der Teil mit dem Blutfluß, den Gräbern der Großen Alten…«
»Die Leichenstadt ist riesig. Die Gräber der Großen Alten sind auf gewisse Art und Weise nur symbolisch gemeint, mußt du wissen. Kennst du das Geheimnis dieser Stadt nicht?«
»Nein.«
»Dann will ich es dir sagen, denn du stehst ja auf meiner Seite, was du schließlich bewiesen hast. Die große Leichenstadt ist in sechs Teile gespalten worden. Und jeder Teil wird von einem der Großen Alten beherrscht. So hat Kalifato seinen Teil, Gorgos ebenfalls…«
»Ich verstehe«, unterbrach Myxin Mandraka. »Hier befinden wir uns in einem Teil, der…«
»Krol gehört.«
Myxin zuckte zusammen. »Krol, der Krake?«
»Jawohl. Er ist einer der Großen Alten. Sein Reich grenzt direkt an das eines Arkonada…«
Bei dem Wort Arkonada mußte sich Myxin beherrschen, um nicht eine Reaktion zu zeigen. Gerade mit diesem Dämon hatte er die größten Schwierigkeiten gehabt, aber er ließ sich nichts anmerken, und Mandraka sprach auch nicht weiter über das Thema, sondern wandte sich wieder Krol zu.
»Krol hat dich gerettet«, erklärte er. »Du hast ihm, dein Leben zu verdanken, und ich hoffe, daß du so etwas nie vergißt.«
»Wieso?«
»Du wärst doch nie gegen die drei Gegner angekommen, Myxin, denn Kara steht nicht mehr auf deiner Seite. Sie hat ein ebenso großes Interesse, dich zu vernichten, wie auch die beiden Hexen. Aber hier bist du sicher. Krol wird alles regeln, du befindest dich in seinem Reich, und dieser See hält noch einige sehr außergewöhnliche Geheimnisse bereit.«
»Kannst du dich dazu äußern?«
»Er liegt auf der Grenze zwischen den Zeiten. Er ist ein Tor in die normale Welt. Krol hat es endlich wieder geöffnet und es auch geschafft, zwei Gestalten anzunehmen. Einmal die menschliche, zum zweiten die Krakengestalt. Er kann wählen, und das macht ihn praktisch unangreifbar. Verstehst du?«
»Ja, bei Dämonen ist alles möglich«, erwiderte Myxin, ohne näher auf irgendwelche Dinge einzugehen. Statt dessen wollte er genau wissen, wie Mandraka überleben konnte.
»Ich schlief in diesem See und war eingehüllt in den Lebensschleim des Kraken. Er schützte mich ähnlich wie ein Kokon die Raupe. Das alles mußt du wissen, um zu begreifen. Ich weiß Krol auf meiner Seite. Der Vampir und der Krake sind eine ideale Ergänzung, mein lieber Myxin. Findest du nicht auch.«
Myxin nickte, ohne allerdings von dieser stummen Antwort richtig überzeugt zu sein, doch Mandraka merkte nichts. Er fuhr fort. »Jetzt gehörst du zu uns. Wir sind also noch stärker geworden. Wer sollte uns je vernichten können?«
»Der Teufel!«
Mandraka lachte. »Hast du vergessen, wie leicht es uns eigentlich gefallen ist, ihn zu beschwören?«
»Ja, aber jetzt ist er wieder frei.«
Mandraka winkte ab. »Quatsch. Du wirst sehen, wie schnell wir ihn wieder beschwören. Wir brauchen nur das Blut einer Jungfrau. Dann geht alles wie von selbst…«
Myxin war davon nicht so überzeugt. Er rechnete damit, daß Asmodis besser aufpassen würde, was ihm sicherlich leichtfiel, denn er war in seiner Macht fast unantastbar.
»Wir könnten uns jetzt die anderen holen«, sagte Myxin. »Wikka, Jane Collins…«
»Ich glaube nicht, daß die Zeit günstig ist.«
»Und weshalb nicht?«
»Weil mir mein Freund und Verbündeter Krol einen anderen Weg zu jemandem gezeigt hat.«
»Wer ist es?«
»Laß dich überraschen, sonst kommt alles viel zu plötzlich. Ich werde dich zunächst einmal in Krols Magie aufnehmen. Bisher hast du von ihr ja nicht viel gespürt.«
»Das stimmt.«
»Vergiß die Hexen und komm mit.«
Myxin nickte. Er folgte Mandraka bis dicht an das Ufer des Sees. Dort blieben sie stehen und schauten in die Tiefe.
Myxin bekam ein seltsames Gefühl. Als Magier in Atlantis hatte er nie in der Leichenstadt gestanden, hier aber, in der Gegenwart, war die Vergangenheit lebendiger geworden, als sie damals überhaupt gewesen war.
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